Willi wollt’s anders: Statt dem vom Erblasser vermachten lebenslangen Wohnrecht haben die Bewohner jetzt Räumungsklagen am Hals
Die Hausgemeinschaft in der Wrangelstr. 83 hat sich einen Namen gegeben. Sie nennen sich jetzt „Willi wollt’s anders” und sie machen damit deutlich, dass die Probleme, die sie nun als Mieter*innen haben, so nie hätten auftreten dürfen. Denn der ehemalige und verstorbene Eigentümer Willi Kolberg hat etwas ganz anderes in seinem Testament verfügt. Er wollte, dass die Mieter*innen in seinen Häusern bleiben können. Sein letzter Wille ist in seinem Nachlass schriftlich niedergelegt mehr als deutlich: „Ich wünsche auf gar keinen Fall, dass meine Häuser verkauft oder anderweitig veräußert werden. Sie sind mein Lebenswerk.“ Doch jetzt geschieht genau das Gegenteil: Das Haus wird verkauft.
Ein Haus wird verkauft, obwohl es der Erblasser ausdrücklich nicht wollte.
Willi Kolberg hatte einen enge Beziehung zu seinen Mieter*innen und das veranlasste ihn dazu, sich vor seinem Tod intensive Gedanken über deren Zukunft zu machen. Er sorgte sich darum, wie es gelingen kann, dass die Bewohner*innen in seinen Häusern verbleiben können und er hatte Angst, dass sie verdrängt würden, wenn die Häuser in die falschen Hände gerieten?
Er war im Begriff seine Häuser in eine Stiftung zu geben, die er an die Charité vermachen wollte. Willi Kolberg war sich sicher, dass diese namhafte Institution sich an die von ihm bestimmten, sozialen Verpflichtungen halten würde und sein Lebenswerk gemeinnützig weiterführen würde. Er machte in seinem Nachlass deutlich: „Ich wünsche auf gar keinen Fall, dass meine Häuser verkauft oder anderweitig veräußert werden. Sie sind mein Lebenswerk.“ Ein weiterer, für ihn extrem wichtiger Punkt bestand im lebenslangen, mietfreien Wohnrecht für seinen Hausverwalter.
Formale Fehler führen dazu, dass statt lebenslangem Wohnrecht nun Räumungsklagen kommen.
Leider verfasste der damals 91-jährige am 16.4.2015 das Dokument nicht komplett handschriftlich, sondern mit einer Schreibmaschine (siehe Abbildung) und er setzte seinen Stempel und eine Unterschrift darunter. Im Mai 2016 verstarb Willi Kolberg dann in dem Bewusstsein, alles zum Besten geregelt zu haben. Doch weit gefehlt.
(Der folgende Abschnitt ist das bisherige Ergebnis unserer Recherchen und ist vorbehaltlich Irrtum und Fehler:) Das Erbe wurde vom Nachlassgericht Frankfurt a.M. mit einem Erbscheinsverfahren entschieden, worüber alle Häuser – und auch das in der Wrangelstr. 83 – im Jahr 2018 von der Stiftung Jüdisches Krankenhaus beansprucht wurde. Die Stiftung hat dann die landeseigene gewobe – einen 100%ige Tochter der degewo – zur Hausverwaltung beauftragt. Dem Hausverwalter wurde damit gekündigt und er erhielt anschließend eine Räumungsklage, ebenso wie ein weiterer Mieter im Haus. Diese Verfahren, die von der Stiftung Jüdisches Krankenhaus angestrengt werden, sind noch anhängig und die Bewohner*innen reiben sich noch immer verwundert die Augen, wie es sein kann, dass sie in einem Testament eigentlich lebenslanges Wohnrecht zugesprochen bekamen und jetzt womöglich geräumt werden sollen. Die Stiftung will aber nicht nur die Mieter*innen loswerden, sondern hat nun auch tatsächlich das Haus verkauft. Davon erfuhren die Bewohner*innen zufällig von im Haus auftauchenden Maklern.
Hier muss das Vorkaufsrecht für eine landeseigene Wohnungsgesellschaft ausgeübt werden!
Das Haus liegt mitten im Milieuschutzgebiet Luisenstadt und es ist die offizielle Linie des Bezirks und des Senats, über das Wahrnehmen von Vorkaufsrechten den Milieuschutz auch durchzusetzen. In diesem Fall sind gleich mehrere landeseigene Unternehmen direkt beteiligt (Charité und dewobe), und doch wird das Haus jetzt renditeorientiert zum Höchstpreis privatisiert. Da die Stiftung Jüdisches Krankenhaus Immobilienmanagement nicht zu ihrem Kerngeschäft zählt, möchten sie das Erbe lieber ausgezahlt bekommen. Mit ein bisschen Weitblick wäre doch hier sicherlich eine Einigung möglich gewesen, die sowohl die Stiftung Jüdisches Krankenhaus wie eine der landeseigenen Wohnungsgesellschaften zufrieden gestellt hätte. Aber nein, wie es lief, wie es in Berlin halt läuft: Erst werfen alle mit vereinten Kräften das Kind in den Brunnen und fragen sich jetzt wie sie es wieder herausbekommen. Natürlich teurer als nötig, mit viel Stress für alle Beteiligten.
Es ist eine verdammte Pflicht für die Institutionen der öffentlichen Hand, in diesem Fall das Vorkaufsrecht auszuüben. Den Preis von 2,2 Mio € hat sich SenFin durch vorherige Versäumnisse selbst eingebrockt, aber für ein Haus mit 12 Wohnungen im Wrangelkiez ist das z.B. für die Gewobag mit entsprechenden Zuschüssen durch den Finanzsenator sicherlich zu schaffen.
Käufer ist übrigens Henrik Ulven, der Geschäftsführer von mindestens 6 verschiedenen Immobilienfirmen ist. Seinen vielen GmbHs gehört mindestens ein weiteres Haus in der Wrangelstraße und wir können davon ausgehen, dass es in einigen Jahren auf ein ähnlich lukratives Geschäft hinaus läuft, wie es gerade Immo-Spekulant Hollmann mit dem Paketverkauf von 23 Häusern an die Deutsche Wohnen durchgezogen hat.
Wir, die Bewohner*innen, die Nachbarschaft, der Bezirk und die Landesregierung, wie müssen diese Art der profitorientierten Immo-Deals endlich beenden. Die einen mit aktivem Protest, die anderen mit aktiver Politik. Dieses Haus darf nicht in die Wertschöpfungsspirale kommen, in der immer die Bewohner*innen aus der Kurve geschleudert werden.
Kundgebung vor dem Haus am Dienstag, 7. Juli 2020 ab 19 Uhr mit viel Musik
Bezahlbarer Wohnraum muss überall erhalten bleiben, wo es ihn noch gibt. In diesem Haus werden niedrige Mieten für Wohnungen in einfachem Standard bezahlt und das ermöglicht Menschen mit geringem Einkommen in der Stadt zu wohnen. Durch Menschen wie die Bewohner*innen in der Wrangelstr. 83 wird die Stadt zur gemischten Stadt – sie sind Teil der Nachbarschaft, sie sind das Milieu. Dies muss erhalten werden, indem der Bezirk das Vorkaufsrecht ausübt.
Wir laden alle zur Kundgebung ein:
am Dienstag, den 7. Juli 2020 um 19 Uhr
vor unserem Haus in der Wrangelstr. 83
Protestiert mit uns und der Nachbarschaftsinitiative Bizim Kiez für den Erhalt unseres Kiezes. Macht Druck für den Vorkauf unseres Hauses durch eine landeseigene Wohnungsbaugesellschaft.
Mit Musik von Jürgen und Alex von der Band „Make a Move“.
Medienecho:
- taz, am 6.7. von Erik Peter: im Haifischbecken:Vermieter Willi wollt’s anders: Ein Eigentümer wollte Mieter über seinen Tod hinaus schützen. Eine Landesstiftung ignoriert das. Nun fordert die Wrangelstraße 83 das Vorkaufsrecht.
- neues deutschland von Bosse Kröger am 8.7.2020: Willis letzter Wille ist egal – Stiftung des Jüdischen Krankenhauses verkauft Kreuzberger Haus entgegen der Wünsche des Erblassers
- Tagesspiegel Leute Newsletter für Friedlichshain-Kreuzberg, 9.7.2020 von Nele Jensch: „Willi wollt’s anders“: Bezirk prüft Vorkaufsrecht für die Wrangelstraße 83.
- Berliner Zeitung, von Ulrich Paul am 9.7: Umstrittenes Erbe – Mieter protestieren gegen Wohnhaus-Verkauf in Kreuzberg: „Willi wollt’s anders“
- B.Z. Berlin, von Florian Kistler am 10.7.2020: Gegen Willi Kolbergs Vermächtnis – Haus in Kreuzberger Wrangelstraße verkauft – Großer Protest
Dokumentation
Hallo zusammen,
Ich bin das Patenkind von Willi und kenne das richtige Testament.
Es ist zu prüfen, ob man das jüdische Krankenhaus verklagen sollte, weil Sie den letzten Willen nicht eingehalten haben. KEIN Verkauf !!!
Er wollte unbedingt, dass das alles Sozialwohnungen bleiben !!!!
Pingback: Willi wollt's anders – Hausbewirtschaftung im Sinne der Mieter*innen wiederherstellen! - Cansel Kiziltepe - Mitglied des Deutschen Bundestages