Nachruf auf einen Abgeber 

Ulf Mann ist gestorben

Wir sind traurig. Am 23. Februar ist unser Nachbar und Unterstützer Ulf Mann friedlich in seiner kleinen Wohnung in der Falckensteinstraße eingeschlafen.

Ulf war ein friedliebender Extremist, der kein Problem damit hatte, seine Ansichten in Einklang mit seinem Leben zu bringen. Und das in allen Details. Ulf war in sich und durch und durch stimmig. Stets politisch denkend und von einem unendlich großen Humanismus angetrieben. Ein Mensch, für den Solidarität kein Fremdwort, Abgeben und Teilen das Natürlichste auf der Welt waren. Unverwechselbar, bescheiden, mit sichtbarer Haltung. Extrem ungewöhnlich und inspirierend in so vielen Dingen.

Ulf hinterlässt eine Lücke im Kiez

Die meisten Leute im Wrangelkiez werden ihn kennen: Als den alten Zausel in geflickter blauer Latzhose, der gemächlich neben seinem Fahrrad her ging – mitten auf der Straße – und sich durch nichts aus der Ruhe bringen ließ. Da konnten die Autofahrer so viel hupen, wie sie wollten, denn Ulf beharrte darauf, dass im Kiez alle Straßen verkehrsberuhigt sind und er deshalb auch auf der Straße gehen dürfe, so lange und langsam, wie er das für richtig hielt. Und dabei gab er ein herrliches Bild ab: Ein wehender grauer Schopf und Bart, immer dieselben Patchwork-Klamotten und Sandalen seit ungefähr 40 Jahren. Diese Sandalen wurden sogar schon einmal ausgestellt, als Beispiel dafür, dass Produkte ein viel längeres Leben haben können, als die meisten Menschen annehmen. Etwas als kaputt zu betrachten, hat Ulf einfach nicht akzeptiert. Wenn man es noch reparieren kann, gibt es doch keinen Grund etwas wegzuschmeißen. Und reparieren kann man eigentlich immer, wenn es im Kern nur um die Benutzbarkeit geht.

Millionenerbe und Stiftungsgründer

Als Sohn eines zu Reichtum gekommenen Apothekers erbte er Millionen, doch ihm war wichtig, dass er persönlich von diesem Geld nichts bekommen sollte und es seine Aufgabe sei, für Umverteilung zu sorgen. Er schrieb dazu: „Es hat bestimmt etwas mit Leichtsinn oder Anmaßung zu tun, wenn ich das Geld, das mir in den Schoß gefallen ist (viele Menschen haben dafür lange geschuftet), nicht auf dem kürzesten Weg an die Bedürftigen und Unterdrückten weiter- oder zurückgebe.“ Darum gründete er mit einigen anderen eine Stiftung, aus der er sich schon recht bald zurückzog. Die „Stiftung Umverteilen!“ ist seither zu einer wichtigen Partnerin von alternativen Projekten in Berlin und weit darüber hinaus geworden. Ihre Mittel fließen in zahllose emanzipatorische Projekte, insbesondere im globalen Süden. Er, als Gründer und Stifter, war auch bloß einfacher Mieter in einer kleinen Wohnung mit Kohleofen in einem Haus der Stiftung.

Diese Geschichte hat er keinesfalls jemals irgendwem erzählt und er wollte auch nicht darüber reden, wenn er darauf angesprochen wurde. Denn er wollte nicht auf irgendeinen Sockel gestellt oder bewundert werden. Wer es wusste, wusste es von seinen Freund*innen, die sich manchmal dazu angehalten sahen, anderen deutlich zu machen, mit wem sie es hier eigentlich zu tun hatten. Alle, die davon erfuhren, verhielten sich fortan fast schon ehrfürchtig anerkennend. Es passiert eben nicht allzu häufig, dass ein glaubwürdiger Asket durch die Jetztzeit einer aufgeregten Großstadt wandelt. Ulf war so eine seltene Erscheinung.

Engagierter Mensch mit großem Herz

Als wir Bizim Kiez als Initiative ins Leben riefen, war auch Ulf oft in den Runden auf der Straße dabei, brachte seine Gedanken am Offenen Mikrofon ein, zog Verbindungen zwischen Kämpfen. Offene Plena zur Selbstorganisation im Freien – sowas entsprach seiner Vorstellung von Lebenspraxis, Ungehorsam und Aneignung. Als sich die Organisation der Ini-Arbeit langsam auf weniger Menschen verengte, und wir uns allmählich in den immer gleichen Räumen zu vorher abgestimmten Terminen trafen, fand er es nicht mehr so spannend und brachte sich andernorts ein. Aber er blieb uns verbunden und immer, wenn wir zur Mithilfe aufriefen, war er verlässlich gegen Ungerechtigkeit zur Stelle. Wir vermissen ihn schon jetzt unheimlich, aber klar ist eins: Wir bleiben ihm auch über seinen Tod hinaus verbunden, mit der Erinnerung an einen sehr besonderen, großherzigen und liebenswürdigen Menschen.

Rest in Power, lieber Ulf.

Unsere Gedanken sind bei seinen Schwestern, Angehörigen und Freund*innen.

Gedenktreffen an der GiveBox

Wir wollen uns mit Nachbarinnen und Nachbarn treffen, um ihm zu gedenken: Am Dienstag, den 14. März ab 19.30 Uhr, an der Give-Box, die er alle paar Tage fein säuberlich aufräumte, ohne je dazu aufgefordert worden zu sein oder zu murren. Die GiveBox steht vor dem Kiezanker 36 (Familien- und Nachbarschaftszentrum Wrangelkiez), Falckensteinstr. 13/14, 10997 Berlin-Kreuzberg.

Die Beisetzung findet am Dienstag, dem 21. März 2023 um 10:00 Uhr auf dem Jerusalem III Friedhof am Mehringdamm 21, 10961 Berlin statt. Eine Trauerfeier schließt im Clash (Mehringhof, Gneisenaustr. 2a, 10961 Berlin) an.


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5 Kommentare zu “Nachruf auf einen Abgeber 

  1. Adelheid Lüchtrath

    ich kenne Ulf seit mindestens 1976, als er noch die Apotheke am Kreuzberg inne hatte, in der die PatientInnen eher zur Gesundheit aufgeklärt wurden, als dass ihnen Medikamente verkauft wurden. Über den Gesundheitsladen Mehringhof hatten wir viele,Jahre Kontakt, der aber auch nach Auflösung des Gesundheitsladens weiterhin bestand. Sein Buch: Für mich nur das Beste war Ausdruck seiner Gesundheitsphilosophie, ja auch Lebensphilosophie, es hat Monate gedauert, um es in ein Format zu bringen, das gedruckt werden konnte (im Sinne des Verlag Gesundheit, aber nicht im Sinne von Ulf Mann).
    Sein / unser Nasenreflexöl wird heute noch in der Zieten-Apotheke hergestellt und funktioniert noch immer so gut, wie vor 40 Jahren
    Ulf wird mir fehlen!

  2. ulrike LeMonnier

    Er war auch MEIN Nachbar. . . ich hielt ihn für langzeit-arbeitslos, er war immer da. . . knapp 28 Jahre habe ich in seiner Nachbarschaft gewohnt. . . Er war mir noch behilflich beim Umzug. Seinen Namen kannte ich aber nicht, wir haben kaum geredet. . .
    Gott wird ihn lieb haben. <3

  3. Christiane Hechler

    Erinnerung an Ulf Mann
    Fast hätte ich Ulf noch vor ein paar Jahren getroffen, als ich bei meinem Sohn im Wrangelkiez zu Besuch war, der ihn als Nachbarn kannte.
    Ich lernte Ulf in den späten 70-er Jahren durch alternative Apothekerkreise kennen und
    erinnere mich an ihn als sehr engagierten Apotheker mit fundiertem kritischem Wissen und gesundheitspolitisch tätigen Menschen – er war ja später auch einer meiner Ausbilder in der
    Apotheke am Viktoriapark für mein PTA-Praktikum, immer in blauer Latzhose, olivgrünem Hemd und Sandalen, mit vor Energie blitzenden blauen Augen. Alle waren ohne weiße Kittel – damals ziemlich revolutionär in Apotheken.
    Es ging ihm nicht ums Schubladenziehen, Fertigarzneimittel verkaufen und Profit machen, sondern um eine andere Medizin und Gesundheitspolitik. Daher legte er viel Wert auf geduldige freundliche Beratung und Weitergabe von Informationen, an denen er unermüdlich arbeitete. Vor allem auch Informationen für Frauen waren ihm ein Anliegen, so schon damals ein Feminist. Eine sanfte Medizin, die Herstellung von Tees, Majoranbutter, Diaphragma-Gel sind u.a. Dinge, die ihm viel eher am Herzen lagen als Vivimed Tabletten. Er schärfte zusammen mit seinem Team meinen kritischen Blick für Schmerzmittel und andere Medikamente, wofür ich ihm sehr dankbar bin. Gelernt habe ich auch eine besondere Schaufenstergestaltung mit eigenen Aussagen, abseits der Pappen der Pharma-Firmen. Der Gummibaum mit angehängten Präservativen für das Projekt Hydra ist mir in diesem Zusammenhang noch in Erinnerung.
    Er hat sicher viel bewirkt mit dem Geld von Mann-Pharma, aber er hat es verschenkt und teilte solidarisch das Leben der Armen. Jedenfalls lebte er extrem einfach. Von seiner Stiftung habe ich erst sehr viel später erfahren. Meine Lebens- und Berufswege führten mich in andere Richtungen und Orte, der Kontakt ging verloren. Schade.
    Wie könnte die Welt aussehen, wenn es mehr solche Humanisten und Philanthropen wie Ulf gäbe!
    „Mud on your eye“, wünschte er mir nach bestandener PTA-Prüfung.
    So wünsche ich Dir nun: Rest in power and peace, lieber Ulf! Mud on your eye, möge Dir die Erde leicht sein!
    Christiane Hechler/Freiburg

  4. Michaela Frömmer

    Liebe Menschen im Kiez,
    von Ulf habe ich erst jetzt erfahren durch eine Nachricht bei Contraste.
    Zutiefst beeindruckt und irgendwie auch unendlich traurig lese ich, was über Ulf gesagt wird.
    Selbstlosigkeit und Hingabe ohne religiös-esoterische Verbrämung mit fundiertem Fachwissen und geduldiger Beratertätigkeit sowie einem die Menschen achtenden Wesen- Freude, schöner Götterfunke!
    Gleichzeitig wird mir wieder bewusst, welche manipulativ- destruktive Rolle die sich in Katastrophen und Drohungen ergehenden Mainstreammedien spielen und wie sie Wertvolles, zu erfahren Notwendiges verdrängen. Ulf lebt weiter in unseren Gedanken und unserem Tun .
    Michaela Frömmer Gersheim/ Reinheim