ALW/BOW für ca. 130 Mio. € steuerfrei an Deutsche Wohnen – über 1.000 Betroffene – Accentro als „Auftrags-Entmieter“?

  • Investor gibt auf: Nach mindenstens acht Hausverkäufen der ALW Immobilien wurden nun die BOW 2 und BOW 3 GmbH aus dem Firmengeflecht veräußert – für vermutete 130 Millionen € als sogenannter Share Deal
  • Kein Aufatmen für über 1.000 Berliner Mieter*innen in 26 betroffenen BOW-Häusern: Auch die neue Eigentümerin Deutsche Wohnen steht in der Kritik
  • Fortsetzung des Entmietungsgeschäftes? – DW-Partner Jacobo Mingazzini spricht in einer Pressemeldung der Accentro AG über „Nachschub in der Privatisierungspipeline“
  • Sparkassen-Affäre in Niederbayern durch Bericht der Süddeutschen Zeitung über BOW-Geschäfte

Seit einem Jahr organisieren sich Mieter*innen gegen die Verdrängung aus BOW/BM/ALW-Immobilien. Für ihren bürgerschaftlichen Widerstand nutzten sie Bizim Kiez als Plattform, vernetzten über 40 Häuser und deckten gemeinsam mit diversen Medien auf, was seit zehn Jahren das Geschäftsmodell ist: Aufkauf von Häusern in Milieuschutzgebieten zur Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen (ermöglicht durch §172 BauGB) und rüde Verdrängungsmethoden ohne Rücksicht auf gewachsene Sozialstrukturen.

Umgehen des Milieuschutzes und der Steuern durch Share Deal

Auch die neueste Entwicklung ist nur aufgrund der Schwarmintelligenz und der Weitergabe von Informationen im Netzwerk bekannt geworden. Bei den laufenden Fusionskontrollverfahren des Bundeskartellamtes ist zu lesen:

20.06.2018, Aktenzeichen B1-136/18: Deut­sche Woh­nen SE, Ber­lin; Mit­tel­ba­rer Er­werb von Mehr­heits­be­tei­li­gun­gen an Bow 2 GmbH und Bow 3 GmbH, je­weils Pfarr­kir­chen; Wohn- und Ge­wer­beim­mo­bi­li­en Bay­ern, Ber­lin (Frei­ga­be am 11.07.2018)

Demnach verkaufen die Geschäftsführer Andreas Bahe, Markus und Wolfgang Oswald die Firmen als Share Deal an die Deutsche Wohnen. Da nicht die einzelnen Häuser, sondern die Firmen veräußert werden, hat dies weitere Folgen:

  • für noch nicht umgewandelte Häuser (Reichenberger 55, Friedel 9) besteht kein erneutes Vorkaufsrecht
  • es fällt keine Grunderwerbsteuer an. Gemäß Informationen von Bizim Kiez soll der Kaufpreis 130 Millionen Euro betragen, dem Land Berlin entgehen bis zu 8 Millionen Euro

Auf gleiche Art verkaufte die sich scheinbar auslösende ALW Immobilien das Haus Lausitzer Straße 8 an Akelius. Zudem gingen weitere Häuser an die „Brandenburg Realty Property 7 Coöperatif“ und die „Quartier Hasenheide GmbH“.

Vom Schlimmen Finger zur Schlimmen Hand

Was so sympathisch klingt, firmierte zuvor als „Cuvrystraße 44, 45 Bestand“ – hier war wohl noch eine GmbH übrig, da der Bezirk sein Vorkaufsrecht erfolgreich ausübte. Dahinter steht die Accentro AG, deren Geschäftsführer Jacobo Mingazzini seine Absichten sowohl im Investoren-TV als auch in einer eigenen Pressemeldung schildert:

„Ich freue mich, dass wir in diesem Jahr bereits die zweite Beteiligung an einem größeren Wohnungsportfolio abgeschlossen haben. Neben dem Zukauf von Wohnimmobilien für unser Privatisierungsportfolio, setzen wir verstärkt auf Vertriebspartnerschaften mit kapitalstarken Investoren. So sichern wir uns eine umfangreiche Pipeline an Wohnungen für das Privatisierungsgeschäft.“

Nach Informationen von Bizim Kiez ist der „kapitalstarke Investor“ die Deutsche Wohnen, mit der ein „Joint Venture an einem Wohnimmobilienportfolio mit 567 Einheiten“ eingegangen wurde. „Die 26 Wohnhäuser mit einer Gesamtfläche von etwa 44.000 Quadratmetern befinden sich in zentralen Lagen Berlins“ und gehören demnach der BOW 2 und BOW 3 GmbH.

In einem der betroffenen Häuser haben sich die Mieter im Reichenberger 55 e.V. zusammengeschlossen. Der Verein fragte die Deutsche Wohnen am 18. Juli 2018:

Demnach befindet sich auch die Reichenberger Straße 55 in der„umfangreichen Pipeline an Wohnungen für das Privatisierungsgeschäft“. Ist dem so, oder können Sie dies ohne Einschränkung dementieren?

In der Antwort vom 20. Juli 2018 wird auf diese Frage nicht eingegangen und auf die vorhergehende Kommunikation verwiesen:

Für die zweite Augusthälfte wurde ein Treffen avisiert, in dem es um die zukünftige gemeinwohlorientierte Bewirtschaftung gehen soll. Baustadtrat Florian Schmidt sowie die MdB Klaus Mindrup, Canan Bayram und Pascal Meiser sicherten ihre aktive Unterstüzung zu. Mehr dazu in der Chronik der Reichenberger 55 / Kontakt: R55(æ)posteo.de

Um das Schicksal aller betroffenen Häuser sorgen sich Politiker*innen diverser Parteien, die ihrerseits Gespräche mit der Deutsche Wohnen anberaumen.

BOW ist jetzt DW, Bahe heißt jetzt Mingazzini – nur die Sparkasse Rottal-Inn ist weiterhin an Bord

Am 11. Juli 2018 war die Süddeutsche Zeitung im Landkreis Rottal-Inn ausverkauft. Erste Zeile der Titelseite: Gemeinwohl? Berliner Mieter gegen bayerische Sparkasse → Die Seite Drei

Unter Überschrift „Wenn’s um Gier geht“ sprach die SZ mit Mieter*innen der ALW- und BOW-Häuser und auch mit den Geschäftsführern Andreas Bahe/Wolfgang Oswald, bzw. versuchte es:

„Über die Verflechtungen beider Familien möchte Oswald beim Gespräch in Munchen keine Angaben machen.“ – „Fragt man Andreas Bahe nach seinem beruflichen Werdegang, wo er aufgewachsen ist, wer in der Familie die Geschäfte führt, verweigert er die Auskunft.“

Noch schweigsamer ist nur die Sparkasse Rottal-Inn: Bewohner aus mindestens einem Dutzend BOW-Häusern überweisen ihre Miete dorthin. Vermutlich finanziert diese (dem Gemeinwohl verpflichtete) Anstalt öffentlichen Rechts nicht nur 85 Prozent/2,85 Millionen Euro der Reichenberger Straße 55, sondern ist auch ansonsten die „Haus-Bank“ der BOW. Die  „Passauer Neue Presse“ kam nicht umhin, sich des sehr lange bekannten Themas anzunehmen:

  • Wirbel um Immobiliengeschäfte und deren Finanzierung
    Sparkasse und Geschäftsaktivitäten von Ex-Stadtrat Oswald in der Kritik – Es geht um Häuser in Berlin – Politische Debatte flammt auf
  • Wolfgang Oswald wehrt sich im PNP-Interview gegen Vorwürfe:
    Wie geht es weiter mit der Reichenberger Straße 55 in Berlin, wo sich die Mieter jetzt wehren und die Öffentlichkeit gesucht haben?
      Gar nicht.
    Wie meinen Sie das?
      Die Gesellschafter von BOW 2 und 3 haben mittlerweile alle Geschäftsanteile
    verkauft. Somit haben wir in Kürze mit dem Haus in der Reichenberger Straße und
    weiteren Immobilien nichts mehr zu tun.
    Warum? Um wieviele Wohnungen geht es dabei und an wen wurden sie verkauft? An die Deutsche Wohnen, wie in der SZ schon angedeutet?
      Zu den Gründen und an wen wir verkauft haben, kann ich an dieser Stelle derzeit nichts sagen. Aber die Mieter selbst wissen laut Medienberichten offenbar schon Bescheid. Zur Anzahl der Wohnungen will ich mich öffentlich nicht äußern.

Die PNP erbat dazu eine Stellungnahme, die der Reichenberger 55 e.V. auch im Namen von Bizim abgab, erschienen am 21. Juli 2018:

Ansonsten, so erzählt man es in Niederbayern, seien die „kleinen Leute sehr verärgert über die Sparkasse und die CSU-Bonzen“. Die kleinen Leute waren es auch, die den Stein ins Rollen brachten. Im September 2017 unterzeichneten 123 Mieter*innen von ALW / BOW einen offenen Brief mit Name, Adresse, Alter, Beruf und 100 persönlichen Statements und zeigten: Wir sind keine „von dritten gesteuerten, linken Aktivisten, die nichts zum wohnungspolitischen Diskurs beitragen“ – dies verbreitete (nach Informationen eines großen Verlages) die Agentur Eckel PR im Auftrag von Andreas Bahe. Laut Selbstdarstellung von David Eckel lassen sich „Krisen-Situationen z.B. durch Bürgerinitiativen oft verhindern“.

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Was bisher geschah: Übersichtsseite Entmietung in BOW / ALW Immobilien
Entsprechend dieser Aufstellung gehen (mindestens) folgende Häuser an die Deutsche Wohnen SE und sind weiterhin von der Entmietung bedroht, da von der Accentro AG als „Privatisierungsportfolio“ bezeichnet:

„Das Ende ist Bahe“ – nun holen sich Deutsche Wohnen und Accentro den Widerstand ins Haus

Reichenberger Str. 55
Friesenstr. 14
Lübbener Str. 20
Lübbener Str. 21
Lübbener Str. 24

Oppelner Str. 28
Boppstraße 11/12*
Kottbusser Damm 22
Fidicinstr. 42
Oranienstraße 9

Jahnstr. 3
Segitzdamm 8*
Prinzessinnenstr. 32
Friedelstr. 9
Friedelstr. 23/23a

Friedelstr. 18*
Lenaustr. 18/19
Erlanger Str. 9/10
Altenbraker Str. 25*
Nogatstr. 21/22

Donaustr. 117
Roseggerstr. 9*
Wilhelm-Busch-Straße 22
Danziger Str. 153*
Bötzowstr. 54 /56
Goltzstr. 15

* = jeweils eine Einheit mit der folgenden Zeile, bei dieser Zählweise wären nur 20 von 26 bekannt


Presseecho:

  • Welt am Sonntag, 29. Juli 2018: „In der Zentrale des Häuserkampfes“ – Investoren aus dem In- und Ausland stürzen sich auf Wohnimmobilien in Deutschland. Die Renditeerwartungen werden extremer, die Mieter-Proteste auch.
  • die tageszeitung: Spekulation in Kreuzberg – Ein Geflecht aus Immobilienfirmen erwarb Häuser, um die Wohnungen in Eigentum umzuwandeln. Nun wird verkauft – und einige Mieter hoffen

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