Verdrängung ist ein schleichender Prozess – Haus Heckmannufer 6/6a
Verdrängung ist ein schleichender Prozess
Vorbemerkung: Dies ist ein persönlicher Bericht, der keinerlei Anspruch auf Allgemeingültigkeit erhebt. Ich bin 1985 nach Berlin gekommen. Nach einem kurzen Aufenthalt in der Sorauer Straße zog ich 1986 in das Haus Heckmannufer 6/6a ein. Dort bewohnte ich zunächst eine 1-Zimmer-Wohnung und erhielt 2 Jahre später mit meinem damaligen Lebenspartner eine 2-Raum-Wohnung (70 qm) als Umsetzwohnung. 2014 wurde das Mietverhältnis nach 28 Jahren im Heckmannufer aufgelöst.
Zur Vorgeschichte
Das Haus wurde Anfang des 20. Jahrhunderts gebaut und zeichnet sich durch den ‚gleichberechtigten‘ Grundriss der Wohnungen aus – es gibt keinen Unterschied zwischen Vorder- und Hinterhaus, Belle-Etage und 4. Stock. In den 80ern kauften zwei Zahnärzte, die zu der Zeit auch in Charlottenburger Bauskandale verwickelt waren, das Haus zu einem Spottpreis. 1986 wurde auf drängen der Mieter eine senatsgeförderte Sanierung des Hauses mit 10 jähriger Mietpreisbindung, anstelle einer mieterlastigen Modernisierung, durchgesetzt- das Haus ist also mit Landesgeldern saniert worden. Damals lebten in dem Haus 64 Mietparteien. Durch den Dachausbau, der ebenfalls mit Senatsförderung durchgeführt wurde, kamen noch 6 Mietparteien dazu.
„Hier entsteht Mietraumvernichtung durch Eigentum“ – Der Verkauf
Der Spruch „Hier entsteht Mietraumvernichtung durch Eigentum“ und ein roter Punkt zierten nur kurze Zeit die Hauswand im Heckmannufer 6/6a. Nach der Umwandlung im Jahre 1999 wurden bereits im Jahre 2000 die ersten Wohnungen verkauft. Waren sich auf einer Informationsveranstaltung des Berliner Mietervereins in der Taborkirche noch alle anwesenden Mieter des Hauses einig, dass sie bleiben, bröckelte danach die Bereitschaft, sich einer Entmietung entgegenzustellen. Zunächst wurden nur die freiwerdenden Wohnungen verkauft, dann auch die bewohnten Einheiten. Wenige Altmieter konnten zu diesem Zeitpunkt ihre Wohnungen direkt kaufen. Zum größten Teil waren es neue Eigentümer mit einem Eigenbedarfsanspruch und auch Investoren, die sich im Heckmannufer 6/6a eine Wohnung zulegten. Der Verkauf war im Jahr 2005 fast abgeschlossen als sich den Altmietern für die letzten Wohnungen noch einmal eine Gelegenheit anbot, zuzuschlagen. In diesem Jahr gingen die Zahnärzte Pleite – sie hatten sich mit Investitionen in Schweriner Plattenbauten verkalkuliert. Vor einer öffentlichen Versteigerung wurden die restlichen Wohnungen den Mietern zu einem Vorzugspreis angeboten. Die Wohnung unter mir, meine Wohnung und eine Wohnung im Vorderhaus kaufte damals der Immobilienmakler nochmals zu einem Schnäppchenpreis (3 zum Preis von 2), da wir drei Mietparteien die Wohnung selber nicht kaufen wollten. (Die Wohnung im Vorderhaus erhielt die Tochter der Assistentin des Immobilienmaklers)
Zwischen 2000 und 2005 fanden also der eigentliche Verkauf der Wohnungen und ein Umbruch in der Wohnstruktur statt. Zu diesem Zeitpunkt wurden die meisten Wohnungen an die neuen Eigentümer abgetreten. In der Regel ist die Übergabe reibungslos verlaufen – insbesondere die älteren Mieter wollten einfach nur ihre Ruhe haben und sind ‚problemlos‘ ausgezogen. Andere, ältere Mieter konnten auch noch in den Folgejahren in ihren Wohnungen bleiben und dort sterben, was ich für sehr wichtig halte. So Oma Pittelkow, die Platzanweiserin im Gloria-Filmpalast war; Frau Kletsch, die erst aufblühte, als ihr Mann verstarb – ein Grobian der mit dem Luftgewehr auf dem Balkon um sich schoss, um die Tauben zu vertreiben, und die Polizisten-Witwe Pfeiffer, die nachts hinter den Gardinen stand, um einem am nächsten Tag vorzuhalten, wie spät/früh man/frau nach Hause kamen. Viele jüngere Mieter haben eine Abfindung erhalten und sind weggezogen.
Ich kann mich sonst noch an zwei spektakuläre Fälle erinnern, die in diesen Jahren für Aufregung sorgten: einmal wollte die Assistentin des Maklers einen (untergetauchten) Mieter für Tod erklären lassen, um die Wohnung Mieterfrei an die neue Eigentümerin zu übergeben. Der Mieter wohnt jetzt quicklebendig in Treptow. Zum anderen hat auch die Hausverwalterin nicht davor zurückgeschreckt, ihren Sohn – der in dem Haus die Funktion eines Hauswarts übernommen hatte – auf die Straße zu setzen, damit seine Wohnung rechtmäßig an den neuen Eigentümer übergeben werden konnte.
Völlig unbemerkt ist allerdings ein (harmloser) Alkoholiker verschwunden – eben jener, der noch zu Mauerzeiten Leute im Kofferraum über die Grenze geschleust hat, und seit dem Fall der Mauer völlig desorientiert vor sich hin lebte. Ihn hatten zwei neue Eigentümer nachts auf der Straße aufgegabelt und nachdem sie feststellten, dass sie ja im selben Haus wohnen, das Sozialamt eingeschaltet. In Folge wurde er umquartiert (ich weiß nicht auf welcher Rechtsgrundlage). Die Wohnung mit bester Lage hat die Assistentin des Maklers selbst gekauft.
Mit dem Verkauf wurden viele einzelne Wohnungen zu einer neuen Wohneinheit zusammengelegt, sodass heute von den ehemals 64 Mieteinheiten nur noch 40 Eigentumswohnungen übrig sind.
Jahre der Entmietung
Mit dem Kauf meiner Wohnung wurde nun auch das Interesse des Immobilienmaklers geweckt. Führten meine ‚Untermieter‘ vom 3. Stock und ich vorher ein Schattendasein, sollte sich dies schlagartig ändern. Die Assistentin wollte einen Besichtigungstermin nach dem nächsten aushandeln. Den meisten Interessenten konnte ich glaubhaft darlegen, dass ein Auszug meinerseits nicht so problemlos vonstatten gehen würde, andere Interessenten haben direkt Abstand genommen, da ich sie aus einem jeweils anderen Kontext persönlich kannte. Der Höhepunkt war allerdings eine Wohnungsführung mit 20 Teilnehmern einer dänischen ‚Reisegruppe‘, die sich bei Tekker eingekauft hatten. (Der Immobilienmakler fungierte auch als Zwischenhändler bei dem Verkauf von Heckmannufer 4 an Tekker.) Nach 2 erfolglosen Jahren haben der Immobilienmakler und seine Assistentin allerdings den Versuch aufgegeben, die Wohnungen schnellstmöglich zu verkaufen und ließen mich und meine ‚Untermieter‘ vorerst in Ruhe.
Im Laufe der Jahre sind auch die meisten verbliebenen Mieter ausgezogen. Nur wenige wollten sich dem Druck noch widersetzen oder sahen in einem Umzug keine Alternative. So auch Wolfgang. Seine Wohnung im Vorderhaus 4. Stock wurde von einem Architekten eingefordert, der bereits die beiden Nachbarwohnungen gekauft hatte und als Anbau noch eine dritte Wohnung benötigte. Nach erfolgloser Kündigung erfolgte die Androhung einer Zwangsräumung. Wolfgang – schwer depressiv – hat sich einen Tag vor der bevorstehenden Zwangsräumung vom Balkon gestürzt und den Sturz nicht überlebt. Ich war einer der wenigen, die ihn noch vor dem Abtransport ins Leichenschauhaus im Hof liegen sahen. Eine Verbindung zwischen dem Freitod und der Zwangsräumung wurde nie hergestellt, da er ‚ja extrem depressiv‘ war. Allerdings hatte Wolfgang auch jegliche Hilfe abgelehnt und mir noch eine Woche vorher erzählt, er habe eine Alternative gefunden – ich dachte dabei an eine andere Wohnung. Der Architekt bewohnt nun die (ehemals drei) Wohnungen alleine!
Vor 3 Jahren bot sich dem Immobilienmakler, mittlerweile ‚Immobilienmanager‘, auch die Gelegenheit, meine Wohnung zu verkaufen. Meine ‚Untermieter‘ aus dem 3. Stock sind an die Ostsee gezogen, um dort ihren Lebensabend zu verbringen. Unter der Hand wurden beide Wohnungen angeboten. Kurz zur Rekapitulation – mir wurde die Wohnung zu Beginn der Umwandlung für 120.000,- DM angeboten, vor der Zwangsversteigerung war der Marktwert auf 45.000,- € gesunken – der Immobilienmakler erhielt zum Schnäppchenpreis 3 Wohnungen zum Preis von 2 – und bot nun eine Wohnung für 220.000,- € an. An der Bausubstanz hatte sich zwischenzeitlich nichts geändert, abgesehen davon das das Haus in den 80er Jahren mit Steuergeldern saniert wurde – der Marktwert hat sich aber im Laufe der Jahre fast verfünffacht – oder ist es verfünfhundertfacht?
Die Wohnung meiner ‚Untermieter‘ und meine Wohnung wurden dann vor 2 Jahren von einem pensionierten Architekten-Päarchen gekauft. Sie hatten bereits vor 10 Jahre meine beiden Nachbarwohnungen gekauft, zusammenlegen lassen und ihrer Tochter überschrieben, die in der Wohnung/den Wohnungen auch lebt. Die Tochter ist ebenfalls die neue Eigentümerin meiner Wohnung, während die untere Wohnung aus dem 3. Stock dem Sohn der Architekten überschrieben wurde. Diese Wohnung wird aber quasi nur als Ferienwohnung genutzt, damit die neuen Architekten-Eigentümer in einem 3 Monatsrhythmus für eine Woche in Berlin logieren können. Bei einem ersten Vorstellungsgespräch bekräftigten die neuen Eigentümer noch, dass ich beruhigt in meiner Wohnung bleiben könne und sie kein Interesse an Eigenbedarf hätten … es sei denn die Tochter würde nochmal schwanger werden, was aber in ihrem Alter eher auszuschließen sei. Und prompt bekam ich 11 Monate später ein Schreiben, worin mir angekündigt wurde, dass die Tochter einen zweiten Sohn geboren habe und nun die Wohnung für den zweimonatigen Familienzuwachs benötigt werde. Nach rechtlicher Prüfung – meine Kündigungssperrfrist durch den Bestandsschutz wäre bei wohlwollender Auslage der Richter in diesem Jahr ausgelaufen und einer Eigenbedarfskündigung hätte ich noch 3 Jahre standhalten können – habe ich mich dann im letzten Jahr auf Wohnungssuche begeben und bin im Wedding fündig geworden – nach 29 Jahren im Kiez und 28 Jahren im Heckmannufer.
Das ‚nachbarschaftliche‘ Wohnverhältnis
Auch wenn sich das etwas abstrus anhört, war das Verhältnis zwischen mir und den meisten Eigentümern (Nachbarn) des Hauses eher gut, streckenweise sogar sehr gut. Wir grüßten uns, hielten einen Plausch im Treppenhaus etc. Aber es gab auch Ausnahmen, jene, denen bewusst war, dass ich nur Mieter im Haus war, und die mich aufgrund dessen von vornherein beschnitten, nicht grüßten und die Tür vor der Nase zuschlugen. Eine Szene ist mir noch in Erinnerung geblieben: Kurz vor meinem Auszug fand im Haus eine Sperrmüllaktion statt – das war die Gelegenheit meine alten Klamotten und Möbel zu entsorgen – was mir allerdings eine Eigentümerin verwehren wollte. Ich könne meinen Müll ja nicht der Hausgemeinschaft aufbürden! war ihr Kommentar. Obwohl ich dafür jahrelang über einen gesonderten Posten für ‚Sperrmüll‘ zahlte, sollte mir dies verwehrt werden. Ebenso war ich von den Eigentümer-Versammlungen ausgeschlossen, musste deren Beschlüsse aber finanziell über eine Erhöhung der Nebenkosten mit tragen.
Bleibt dem der geht nur die Erinnerung?
Hinter diesen kurzgehaltenen Zeilen verbirgt sich ein schleichender Prozess der Verdrängung, der sich über 14 Jahre hinzog. Ein Prozess, der für manche auch lebensbestimmend wurde. Sollte ich die Veränderungen der Wohnsituation im Wrangelkiez in den letzten Jahrzehnten mit zwei markanten Punkten benennen, so würde ich daran erinnern, dass es in den 80ern neben der Berlinzulage und sonstigen Vergütungen wie Freiflüge nach Westdeutschland, auch relativ einfach war, in diesem Kiez am Ende der Welt, dem Wrangelkiez – jenem Kiez, in dem keiner leben wollte – eine Wohnung zu bekommen. Mir wurde damals die erste Miete erlassen, um die Wohnung im Heckmannufer als Nachmieter so schnell wie möglich zu übernehmen und auch der Umzug in die Umsetzwohnung wurde großzügig bezuschusst. Fast drei Jahrzehnte später erhielt ich nun für den Auszug aus der Wohnung und dem Kiez eine Abfindung, um mich irgendwo anders neu einrichten zu können. Ich lebte die letzten 14 Jahre in diesem Haus in der Gewissheit, irgendwann einmal meine Sachen packen zu müssen und insbesondere in den letzten Jahren mit dem Gefühl, hier unerwünscht zu sein. Gleichzeitig hatte ich auch das Gefühl, dass sich für mich der Kiez völlig verfremdet hat. Ich bin nicht mehr mit einem wohlwollenden Gefühl von der Arbeit in mein Zuhause zurückgekommen, sondern in etwas Fremdes und Fremdbestimmtes. Aus der Ferne und dem zeitlichen Abstand wurden nun alte Erinnerungen geweckt, die ich hier nicht alle aufzählen möchte, die ich aber sicherlich mit vielen Menschen aus dem Kiez teile. Zu diesen alten Bildern gehören seit geraumer Zeit auch die neuen Bilder, der Widerstand gegen das LAB, die Aktion vor der Reinigung Scheffler, die Verhinderung von Zwangsräumungen und Rücknahme der Kündigung von Bizim Bakkal – Bilder, die das Fremde verdrängen und das Vertraute zurückbringen.
gez. Klaus