Bürgermeister Müller meint: „Einfach mal eine Umwandlung nicht genehmigen“
Der Regierende Bürgermeister von Berlin Michael Müller (SPD) nahm sich viel Zeit, um mehr über die zweifelhaften Geschäftspraktiken der ALW-Immobiliengruppe um Andreas Bahe zu erfahren. Zur Tatsache, dass in Milieuschutzgebieten reihenweise Mietshäuser in Eigentumswohnungen umgewandelt werden, riet er: Die Bezirke sollen „einfach mal eine Umwandlung nicht genehmigen“. Doch so einfach ist es leider nicht.
Michael Müller interessierte sich für Zahlen und Zusammenhänge und sagte zum Ausmaß der Verdrängung: „Es war mir gar nicht bewusst, dass die ALW in der ganzen Stadt aktiv ist“ – als nur eines der entmietenden Immobilienunternehmen. Dies wurde anhand zahlreicher realer Fälle dargelegt, zur Vorbereitung auf das halbstündige Gespräch hatte sich Müller auch mit dem Offenen Brief von 123 namentlich unterzeichnenden Mieter*innen der ALW-Gruppe beschäftigt. Der Landesvorsitzende der Berliner SPD sicherte seine Unterstützung zu, die Senatskanzlei schreibt nach dem Treffen:
Der Regierende Bürgermeister hat sich inzwischen zwecks Prüfung einer möglichen Änderung der Milieuschutzregelungen an die Senatsverwaltungen für Stadtentwicklung und Wohnen sowie Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung gewandt und diese um eine Stellungnahme zu Ihrer Anregung gebeten.
Konkret ging es auch um die Reichenberger Straße 55, ein Kreuzberger Haus, das prinzipiell noch vor der Umwandlung zu retten wäre – aber Geschäftsführer Andreas Bahe plant nach eigener Aussage bereits den Verkauf der Wohnungen: Die B.Z. berichtete ausführlich über das Geschäft der BOW 3 GmbH mit der Heimat der Bewohner zwischen 1 und 102 Jahren und brachte auch den Kaufpreis in Erfahrung. Dazu Werner Landwehr, Prokurist der GLS Bank:
Die aktuellen Probleme von Häusern wie der Reichenberger Str. 55 lassen sich am Unterschied zwischen Verkehrswert und Ertragswert sehr gut verdeutlichen.
Verkehrswert ist der Wert, zu dem aktuell ein Haus am Markt verkauft wird, in Ihrem Fall ist von 3.350.000 € die Rede. Wer ein Haus zu diesem Preis kauft, in dem die Netto-Kaltmiete abzüglich Haus-Bewirtschaftung pro Jahr ca. 75.000 € einbringt, müsste entweder 45 Jahre ohne einen Cent Rendite auf den Rückfluss seiner Investition warten oder er hat etwas anderes vor. Dieses andere ist in aller Regel Spekulation!
Der kaufmännisch sinnvolle Preis kommt eher im Ertragswert zum Ausdruck und beläuft sich bei ansonsten gleichen Verhältnissen eher auf 1.500.000 €, was in etwa der 16,5-fachen Jahres-Netto-Kaltmiete entspricht.
Der Regierende Bürgermeister hakte nach, um die Spekulation anhand der Zahlen zu verstehen, nannte den Faktor 37 (statt 16,5/s.o.) „unglaublich“ und warf die Frage auf: Wenn das Umwandlungsgesuch gestellt wird – ist der Bezirk bereit, in einen Konflikt zu gehen? Denn dieser sei nötig, um weitere „Eskalationsschritte“ gehen zu können, mit dem Ziel der weiteren politischen Diskussion und einer Gesetzesänderung.
Mit dem Abwälzen der Genehmigungsentscheidungen auf die Bezirke lässt sich das Problem allerdings nicht lösen.
Umwandlungen müssen oft gegen den Willen der Bezirke genehmigt werden
In den sogenannten Milieuschutzgebieten, d.h. Stadtteilen, in denen eine soziale Erhaltungsverordnung gilt, müssen Eigentümer geplante Umwandlungen von Mietshäusern in Eigentumswohnungen vom jeweiligen Bauamt im Bezirk genehmigen lassen. Es gibt aber viele Ausnahmeregelungen, die es den Eigentümern leicht machen, die Häuser trotz des Genehmigungsvorbehalts zu zerstückeln und mit oft 100% Gewinn in Einzelteilen zu verkaufen: Sie brauchen nichts weiter zu tun, als dem Bauamt zu bestätigen, dass sie in den ersten 7 Jahren nach der Aufteilung die Wohnungen nur an die darin wohnenden Mieter*innen verkaufen würden. Der zuständige Baustadtrat von Neukölln Jochen Biedermann (Grüne) nennt das „eine Scheunentorausnahme“, weil darüber die Ämter gezwungen werden zu genehmigen. Bislang ist kein Fall bekannt, in dem ALW-Gruppe an Mieter verkaufte – und anstatt 7 Jahre zu warten, sagt Florian Schmidt (Grüne) als Baustadtrat in Friedrichshain-Kreuzberg in der B.Z.:
„Ich höre bei diesem Firmengeflecht immer wieder von Geschäftspraktiken, die einer informellen Entmietungsstrategie gleichen.“
In Bezug auf den Vorschlag des Regierenden Bürgermeisters ergänzt er: „Wenn die Eigentümer die Erklärung über ’sieben Jahre Verkauf nur an Mieter‘ abgeben, gibt es kein Ermessen mehr, dann besteht ein eindeutiger Rechtsanspruch auf die Genehmigung. Für Anträge zu Umwandlungsgenehmigungen besteht eine einmonatige Bearbeitungsfrist, hält man die nicht ein, entsteht eine Genehmigungsfiktion. Was bedeutet, die Eigentümer bekommen die Genehmigung dann sogar ‚gratis‘ ohne Siebenjahres-Beschränkung – und wissen dies genau.“
Michael Müllers Rat „einfach mal nicht genehmigen“ würde also faktisch nach hinten losgehen.
Untätig war das Land Berlin hingegen nicht, darauf weist Katrin Lompscher (Senatorin für Stadtentwicklung und Wohnen) in ihrer Antwort an die ALW/BOW-Mieter*innen hin:
Im offenen Brief wurde auf den sogenannten „Schlupfkrater“ der Regelung im § 172 Abs. 4 Satz 3 Nummer 6 Baugesetzbuch verwiesen. (…) Das Land Berlin brachte im Januar 2017 den Vorschlag im Bundesrat ein, diese Regelung im Zuge der Novellierung des Baugesetzbuches im Jahr 2017 ersatzlos zu streichen. Vom Bundesrat wurde dieser Vorschlag nicht unterstützt.
Der Schutz muss auf Bundesebene verhandelt werden
Somit ist es an der zukünftigen Bundesregierung die Regelung für den „Erhalt der sozialen Zusammensetzung“ der Innenstadtgebiete so abzuändern, dass der Name „Milieuschutz“ endlich glaubhaft wird. Die Vorkaufsregelung muss endlich abgeschafft werden. Bei allem was FDP und CDU jemals für den Mieterschutz getan haben (war da was?), bleiben große Zweifel, ob die Bundesgrünen dem was entgegenzusetzen haben.
In Bezug auf die Reichenberger 55 haben die Bewohner*innen selbst die Regie übernommen:
- Eine laufende Chronik dokumentiert alle Ereignisse
- Frühzeitige Involvierung von Katrin Lompscher, Florian Schmidt, Michael Müller und Canan Bayram, die für den Wahlkreis im Bundestag sitzt
- Vielfältige Kontakte, um der Nicht-Informationspolitik zu begegnen
- Gründung eines Vereins mit dem Zweck „Erhalt als Mietshaus“