Bizim Kiez Kundgebung: Milieuschutz und Vorkaufsrecht – Baustadtrat stellt sich den Fragen

Direkt vor dem Haus Cuvrystr. 44/45 versammelte sich die Nachbarschaft am Mittwoch Abend, den 30 August 2017, um zu hören, ob und wie die Bewohner/innen des Hauses noch vor der Verdrängung geschützt werden können. Das Haus liegt mitten im „Milieuschutzgebiet Luisenstadt“ und folglich gibt es Möglichkeiten, das Haus und seine Bewohner/innen, davor zu bewahren, Opfer einer auf Profit ausgerichteten Immobilienspekulation zu werden und verdrängt zu werden. Um das abzuwenden, fordert der Bezirk nun von Immobilienkäufern „Abwendungsvereinbarungen“, in denen sie sich verpflichten, die Mieter/innen nicht mit der Umlage der Kosten von Aufwertungsmaßnahmen zu überfordern.

Versammlung auf der Cuvrystr. – Bizim Kiez 30.08.2017: Cuvry 44/45 bleibt!

Käufer ist nicht bereit, die Mieter/innen 20 Jahre lang zu schonen

Wir hörten von Mieter/innen aus dem Haus, wie die bisherige Entwicklung verlief, bis sie an den Punkt angekommen sind, an dem das stark instandsetzungsbedürftige Haus (gebaut 1958) nun an den als Privatmann auftretenden Immobilienmakler David Borck verkauft wurde. Dieser Verkauf rief den Bezirk auf den Plan, der im Milieuschutzgebiet ein sogenanntes Negativzeugnis ausstellen muss, in dem bestätigt wird, das der Bezirk sein bestehendes Vorkaufsrecht nicht wahrnehmen möchte. Darauf hin wurde dem Käufer ein Entwurf für eine „Abwendungsvereinbarung“ zugesendet, in der festgelegt werden sollte, dass bei dem Haus über eine Laufzeit von 20 Jahren auf alle Maßnahmen verzichtet werden soll, die zur Folge haben könnten, dass die Anwohner/innen verdrängt werden. David Borck war dazu nicht gewillt und deshalb wird jetzt aktuell geprüft, ob der Bezirk dieses Haus für Dritte ankaufen kann. Die 8-wöchige Frist, in der der Fall geklärt werden muss, läuft Anfang Oktober ab.

Bis dahin muss nun eine Wohnungsbaugesellschaft (oder ein anderer „Dritter“) gefunden werden, die das Haus unter den gegebenen Bedingungen übernehmen möchte (Preis 1,9 Mio €) und den Mieter/innen garantieren kann, was der Bezirk in der Abwendungsvereinbahrung von einem Neubesitzer einfordert.

Die Handhabung des Vorkaufrechts läuft noch nicht rund

Mit dem Baustadtrat Florian Schmidt und dem zuständigen Mitarbeiter für Milieuschutzfragen Aaron Schaar besprachen wir viele technische und rechtliche Details und Probleme des Verfahrens.

So wurde deutlich, dass bisher nur 3 landeseigene Wohungsbaugesellschaften beim bereits durchlaufenen Interessensbekundungsverfahren als mögliche Dritte für Ankäufe bereit stehen. Bisher sind keine Stiftungen und Genossenschaften im Pool der möglichen Dritten, weshalb es eine erneute erweiterte Runde geben soll, um weitere gemeinwohlorientierte Immobiliengesellschaften aufzunehmen.

Probleme macht auch die Preisermittlung, denn bisher gehen in die Verkehrswertgutachten auch Spekulationserwartungen gegenüber der Bodenpreisentwicklung ein, die über Vergleichsobjekte in der Umgebung berechnet werden, wodurch auch bei bezirklichen Ankäufen eventuell viel zu hohe Preise bezahlt werden. Der Bezirk fordert deshalb, dass ein Ertragswertverfahren zum Anwendungsstandard wird, das auf einen x-fachen der derzeitigen Gesamt-Mieteinnahmen errechnet wird und zu deutlich niedrigeren Verkehrswertpreisen führt.

Vorkaufsrecht soll den Wechsel in der Wohnungspolitik bringen

Langsam aber stetig soll über die bezirklichen Vorkaufsverfahren die Anzahl der Wohnungen, die nicht dem spekulativen Marktgeschehen unterliegen, wieder erhöht werden. So sollen die Fehler der bisherigen Wohnungspolitik, als insgesamt ca. 200.000 Wohneinheiten privatisiert wurden, Fall für Fall wieder bereinigt werden. Dazu hat vor Kurzem der Senat eine Leitlinie zum Umgang mit dem Vorkaufsrecht an die Bezirke ausgegeben. Doch dies ist nur in Milieuschutzgebieten überhaupt möglich, weshalb also zunächst auch die Milieuschutzgebiete erweitert werden sollen – was aber nur bedingt möglich ist.

Rechtlich gesehen kann der Bezirk nur die Abwendung von drohenden Verdrängungen erzwingen, das politische Ziel ist aber den Bestand an gemeinwohlorientierten Immobilien wieder zu vergrößern. Dabei muss in jedem Einzelfall erarbeitet werden, wie verfahren werden kann. Die Interessen der Bewohner/innen werden dabei bisher viel zu wenig gehört und der Informationsfluss zwischen Mieter/innen und Bezirk ist ebenso stark verbesserungsbedürftig.

Fazit:
Zum Schutz der Kieze in Milieuschutzgebieten scheint das Vorkaufsrecht derzeit für viele Häuser und deren Mieter/innen, die einzige Möglichkeit zu sein, vor Verdrängung geschützt zu werden, doch das Verfahren ist noch entwicklungsbedürftig.
Es lohnt sich bei jedem einzelnen Haus möglichst viel Öffentlichkeit herzustellen, denn bisher sind alle Häuser, für die wir uns eingesetzt haben, vom Bezirk geschützt worden.
Die Kommunikation zwischen Bezirk und Betroffenen Mieter/innen ist längst nicht optimal.
Der große Wurf, um die Stadt vor dem Ausverkauf zu retten ist es sicher nicht, aber solange der politische Wille so ist wie im Moment, kann hoffentlich zumindest der steigende Gentrifizierungsdruck durch weitere Verkäufe abgemildert werden.


Pressestimmen:

Der rbb berichtete in der Abendschau:

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Mehr Informationen

die tageszeitung – taz:
Gentrifizierung in Berlin: Kämpferisch trotz Widrigkeiten
In der Cuvrystraße in Kreuzberg wollen sich Mieter*innen gegen den Verkauf ihrer Häuser wehren. Unterstützung gibt es dabei von der Initiative Bizim Kiez. (von LouisaBraun)

rbb24:
Vorkaufsrecht für die CuvrystraßeVom Recht Kreuzberger zu bleiben
Erst kamen die Touristen, jetzt sind es die Immobilienentwickler. Im Wrangelkiez in Kreuzberg manifestiert sich der Wandel in Form von steigenden Mieten  – doch die Bewohner wissen sich zu wehren. (von Antonia Märzhäuser)