Eine Bäckerei wird verdrängt und der Bezirk tut so, als wäre er machtlos. Stimmt nicht!

Am Freitag, den 27.10.2017 werden viele Menschen aus Solidarität gegen den Rausschmiss der Familie Uzuner aus ihrem seit 17 Jahren betriebenen Bäcker-Laden in der Pannierstr. 41 (Nord-Neukölln) protestieren. Der Laden zur Versorgung der Nachbarschaft soll einem Grill-Restaurant weichen. Damit wird die Umwandlung der Pannierstraße zu einer Fressmeile weiter befördert. Bedient werden damit vielleicht Bedürfnisse von Touristen, aber sicher nicht von Anwohnenden. Stellt sich die Frage: Musste das so kommen?

Der Bezirk könnte eingreifen, wenn er denn will

Die Haltung des Neuköllner Stadtrats für Stadtentwicklung Jochen Biedermann (Grüne), allenfalls mit der Begrenzung von Schanklizenzen steuernd Einfluss nehmen zu können, ist wirklich extrem ärgerlich. Er ist entweder in einem erschreckenden Ausmaß ahnungslos, oder er versucht, Verantwortung nach oben abzuschieben und seinen eigenen Einfluss zu verschleiern: Natürlich verfügt die Neuköllner Baubehörde über Mittel, derartige Nutzungsänderungen von kiezversorgendem Kleingewerbe hin zu der nächsten allein Touri- und agglomerationsversorgenden Gastronomie zu verhindern. Beispielsweise hat der damalige Kreuzberger Baustadtrat Hans Pannhoff 2015 für den Laden von Bizim Bakkal (ehemaliger Obst- und Gemüseladen im Wrangelkiez) deutlich artikuliert, dass eine Nutzungsänderung zu einem Gastro-Betrieb nicht genehmigt werden würde. Der Laden steht vermutlich auch deshalb seit über 2 Jahren immer noch leer.

Die Umnutzung von Kleingewerbe in lukrative Gastros zu verhindern, ist also eine der wenigen wirksamen Möglichkeiten des Bezirks, der Mietspirale für Gewerbe und der Verdrängungspraxis der Investoren zu etwas entgegen zu setzen. Dafür braucht es den Senat nicht. Ablehnungen von Umnutzungen wegen einer „Massierung von Schank- und Speisewirtschaften“ werden z.B. im Gräfekiez und – vom Verwaltungsgericht Berlin in einem etwas anders gelagerten Fall auch grundsätzlich gutgeheißen – auch in Tempelhofer Mischgebieten, längst praktiziert. 

Hier ein Zitat aus der Begründung des Tempelhofer Bezirksamts (aus dem Tatbestand des genannten Urteils): „Planungsrechtlich liege der Vorhabenstandort allerdings in einem Gebiet, das bei einer Nutzung der Gewerbeeinheit als gastronomischer Betrieb zur Zeit einer strengen planungsrechtlichen Prüfung unterliege. Die verträgliche Anzahl gastronomischer Nutzungen sei weit überschritten. Da bereits Funktionsstörungen in dem Wohnquartier festgestellt worden seien, würden derzeit Gastronomiebetriebe im Einzelfall nicht mehr zugelassen.“
(Quelle: https://openjur.de/u/874479.html

In Sachen „Funktionsstörungen“ kann Kreuzkölln doch wohl locker mit Tempelhof-Schöneberg mithalten.

Der Bezirk als Komplize der Profiteure

Eine andere Vermutung liegt näher: Wahrscheinlich ist dem Bezirksamt Neukölln die „Gerichtsfestigkeit“ seiner Genehmigungspraxis sehr wichtig – man will sich schlicht keinen Ärger einhandeln. Hintergrund: Der Bäcker kann gegen die bauplanungsrechtliche Entscheidung nicht klagen, der Eigentümer des Hauses und die die Nutzungsänderung beantragenden Grillrestaurantbetreiber dagegen durchaus und zwar mit Hilfe von äußerst fähigen Anwälten. Und das macht natürlich Arbeit, die man sich in der Verwaltung ungerne aufbürden möchte. Die Verantwortung an den Senat nach oben abzuschieben und damit wie üblich die Alternativlosigkeit zu behaupten, ist ebenfalls bequem (und eine politisch weit verbreitete Taktik) – es wird schon niemand hinterfragen.

Mit dem Durchwinken derartiger Verdrängungspraktiken und der damit einhergehenden Veränderungen in der Kiezstruktur macht das Bezirksamt sich aber zum Komplizen der Investoren und ihrer Profiteure. Wir, die Nachbarschaften können hingegen erwarten, dass bei der extremen Häufung von Gastros und dem damit verbundenen Verdrängungsdruck für Kleingewerbe in Nord-Neukölln und Kreuzberg, auch unbequeme Entscheidungen getroffen werden und vielleicht sogar mal ein Gerichtsverfahren riskiert wird. Es geht um viel. 

Auch andere Eigentümer mit Gespür für den Kiez könnten klagen

Solidarische Wohnungseigentümer in der Gegend (es soll sie ja geben!), könnten gegen eine solche unverantwortliche Genehmigung ggf. mal versuchen, mit einer Nachbarklage etwas zu erreichen. Für Mieter und Mieterinitiativen bleibt dagegen nur die Skandalisierung. Aber auch die kann wirken. Hier sei das Bezirksamt Tempelhof noch einmal aus dem Urteil zitiert: 

„Das Vorhaben sei zudem auch materiell illegal. Es sei in dem gemischten Gebiet gemäß § 7 Nr. 5 BO 58 im Einzelfall unzulässig, weil es aufgrund der Häufung gastronomischer Betriebe in der unmittelbaren Umgebung der Eigenart des Baugebiets widerspreche und zu unzumutbaren Störungen und Belästigungen der durch Wohnen geprägten Umgebung führe. Der Bereich … sei bereits gastronomisch überversorgt. Daraus ergäben sich erhebliche Probleme im wohngeprägten gemischten Gebiet sowie in den angrenzenden planungsrechtlich festgesetzten allgemeinen Wohngebieten. Schon jetzt gebe es erhebliche Lärmprobleme und massive Beschwerden der Anwohner, und es habe sich eine Bürgerinitiative gegründet.“ (https://openjur.de/u/874479.html

5 Kommentare zu “Eine Bäckerei wird verdrängt und der Bezirk tut so, als wäre er machtlos. Stimmt nicht!

  1. Jochen Biedermann

    Ich habe mit Interesse Euren Beitrag gelesen. Ich war geradezu neugierig, welches Instrument ich denn übersehen habe – außer der von mir genannten und von Euch zitierten Begrenzung von Schanklizenzen – auf deutsch: also die Ablehnung neuer Gastronomie. Und was wird das im Artikel als einzige Möglichkeit erwähnt? Genau: die Versagung der Nutzungsänderung, also die Ablehnung neuer Gastronomie.

    In dem weiter unten verlinkten Artikel steht dann auch, wie das geht: „Voraussetzung ist eine Bestandsaufnahme der Gewerbe im Viertel – ergibt diese eine Überversorgung mit Restaurants und Bars, können Anträge auf eine Nutzungsänderung laut Baunutzungsverordnung abgelehnt werden.“ Genau diese Bestandsaufnahme möchte ich im nächsten Jahr machen (kostet Geld und bindet Personal). Genau dieses Passus habe ich übrigens auch in die rot-grüne Zählgemeinschaftsvereinbarung reinverhandelt.

    Und dann werft Ihr mir noch vor, ich würde mich unter dem Schlagwort „gerichtsfest“ wegducken. Ich habe seit Amtsantritt vier Baustopps verhängt und durchgesetzt, dem Hostel in der Weserstraße die Nutzung untersagt und in letzter Konsequenz inkl. Versiegelung durchgesetzt, habe bei zwei Häusern das Vorkaufsrecht ausgeübt und mich mit einer ganzen Reihe von Investoren über preiswerte Wohnungen gestritten. Ihr könnt mir meinetwegen viel vorwerfen, aber ich habe definitiv keine Angst mit meinen paar Leuten in die Schlacht zu ziehen – auch nicht gegen topspezialisierte Immobilienrechtsanwaltskanzleien, wenn ich der Überzeugung bin, dass wir das gewinnen können.

    Aber ich glaube, es bringt nichts, wenn wir uns jetzt gegenseitig anzicken. Ich denke, wir haben viele Schnittmengen. Und ich finde es völlig okay, dass Ihr mehr fordert, als politisch so eben umsetzbar ist. Ich bin Euch sogar dankbar dafür. Mein Vorschlag: wir reden erstmal mit- statt übereinander, tauschen uns aus besprechen, wie Handlungsstrategien aussehen können. Wenn Ihr dann immer noch unzufrieden seid, könnt gerne weiter auf mich schimpfen.

  2. bizim-kiez Beitragsautor

    @Till: Hier ist keine einzige unbelegte Vermutung veröffentlicht, sondern wir geben hier gut recherchierte Informationen und helfen so auch öffentlichen Stellen.

    Lies doch mal nach wie es im Gräfekiez gemacht wurde: http://www.tagesspiegel.de/berlin/gastronomie-in-berlin-politik-will-nicht-noch-mehr-bars-im-graefekiez/8457112.html
    Und lies dieses Urteil, mit dem bestätigt wird, dass der von uns hier beschriebene Ansatz auch rechtssicher ist: http://www.landesrecht.rlp.de/jportal/portal/t/7qe/page/bsrlpprod.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&doc.id=MWRE110002613&doc.part=L

    Und wenn du den ganzen Diskussionsverlauf nachlesen willst, einschließlich der beiderseitig geäußerten Absicht zur produktiven Zusammenarbeit, dann lies bitte alle Kommentare zum Facebook nach:
    https://www.facebook.com/bizimkiez/posts/1734021976903681

  3. Paule

    Auch wenn das Geschriebene richtig sei, mag man bedenken, dass andernorts auch ein Verschwinden des Kleingewerbes stattfindet. Und das hat dann nichts mir Verdrängung zu tun, sondern resultiert daraus, dass immer mehr Leute schön billig-billg und am besten online bei den „Großen“ kaufen.