Redebeitrag von Bizim Kiez – gegen Verdrängung – auf der Kiezdemo am 7. August in Berlin-Kreuzberg

Seit Wochen mobilisiert die Initiative <Zwangsräumungen verhindern> mit einer Kampagne zusammen mit anderen Gruppen und Aktiven gegen die drohende und vorläufig ausgesetzte Zwangsräumung des M99.

Mit großer und breiter Beteiligung, kraftvollen Parolen, vielen Schildern und Beiträgen –
u.a. hier dokumentiert die Rede von Bizim Kiez – sorgte die Demonstration vom
7. August für Aufmerksamkeit.

Weitere Informationen:
berlin.zwangsraeumungverhindern.org
www.bizim-kiez.de

Ton + Bild: www.zweischritte.berlin
https://www.youtube.com/watch?v=2jcCq_-3Sjs&feature=youtu.be

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Hallo liebe Demonstrierende,

Unterstützerinnen und Unterstützer von HG, hallo Nachbarschaft,

ich bin Magnus Hengge und ich bin hier ein Nachbar, der sich mit vielen anderen aus dem Kiez zusammen geschlossen hat zur Initiative „Bizim Kiez“, was „Unser Kiez“ heißt. Wir setzen uns für den Erhalt des Wrangelkiezes ein, aber auch generell für den Erhalt von Kiezkultur und dafür, dass wir als Nachbarschaften und Individuen nicht durch die Gentrifizierung verdrängt werden. Wir akzeptieren das Prinzip der Verdrängung nicht und arbeiten dagegen, dass Verdrängung als gesellschaftliche Normalität angesehen wird. Ich spreche hier als Vertreter von Bizim Kiez.

Hans Georg Lindenau, den wir alle als HG kennen, ist vor ungefähr einem Jahr zu einer unserer Kiezversammlungen gekommen und hat von seiner Situation erzählt. Seitdem unterstützen wir ihn – wie viele andere Menschen auch aus den unterschiedlichsten Zusammenhängen, die heute hier zusammengekommen sind.

Wir wollen unseren Nachbarn HG behalten und setzen uns darum intensiv dafür ein, dass seine Zwangsräumung nicht stattfindet. Die Verschiebung der Zwangsräumung sehen wir deshalb als Erfolg, über den wir uns freuen. HG und wir alle, die wir ihn unterstützen, haben dadurch 6 Wochen mehr Zeit bekommen, um weitere Aktionen zu machen. Wir können weiter deutlich machen, welch ein Skandal es ist, dass unser schwer-behinderter Nachbar geräumt werden kann.

Wie kann es sein, dass ein Gericht es für gerecht hält, einen Menschen aus seiner Wohnung räumen zu lassen, wenn diese Wohnung als Wohnladen die Grundlage seiner Existenz darstellt? Hält es das Gericht für gerecht, seine Existenz zu zerstören? Hält der Vermieter es für gerecht, die Existenz ihres Mieters zu zerstören? Nein! Es ist schreiendes Unrecht und wir werden in den nächsten 6 Wochen, und auch darüber hinaus, es der ganzen Welt sagen, dass hier Unrecht geschieht.

Wenigstens die Ärztin, die HG vor 2 Wochen in der Neurologie untersucht hat, in die er sich selbst eingewiesen hat, weil er unter akuten Angststörungen litt – diese Ärztin hat sofort erkannt, dass hier Unrecht per Zwangsräumung ausgeführt wird. Die Oberärztin und ein Psychiater des Krankenhaus Neukölln haben ein Gutachten geschrieben, in dem dringend empfohlen wird, HGs Wohnsituation zu erhalten, weil damit zu rechnen sei, dass er den Rauswurf durch die Zwangsräumung womöglich nicht überleben würde. Das ist die Wahrheit: Eine Räumung wird HGs Existenz und sein Leben zerstören. Das können wir nicht hinnehmen!

Aber das Problem ist natürlich größer und beschränkt sich nicht nur auf HG. Es beschränkt sich auch nicht nur auf Kreuzberg, nicht nur auf Berlin. Nein, es ist ein strukturelles Problem der kapitalistischen Immobilienwirtschaft. Wohnen ist ein Lebensrecht und das ist unvereinbar mit dem Prinzip der Zwangsräumung, das Eigentümern von Wohnungen das Recht gibt, Menschen rauszuwerfen. Es ist Unrecht, dass kapitalstarke Menschen andere Menschen in die Obdachlosigkeit stoßen dürfen!

Die meisten Politikerinnen und Politiker, die meisten Richterinnen und Richter – sie sind alle Hausbesitzer und damit Teil der Immobilienwirtschaft. Sie wollen Erträge und Profite aus ihrem eigenen, in Immobilien eingebrachten Kapital ziehen. Aber die Mehrheit der Menschen in Berlin sind Mieterinnen und Mieter! Die Politik muss gefälligst denen helfen, die wenig haben, um ihre Rechte zu schützen und nicht denen, die viel haben, um noch mehr Kapital zu bekommen! Ihr Politiker/innen müsst Gesetze für uns Mieter/innen machen! Es geht verdammt nochmal um Menschen und nicht um Geld!!

Wir werden kritisch und skeptisch auf die Legislative und auf die Judikative schauen und darauf achten, dass diese Politik ein Ende findet, die den Weg für den zerstörerischen Raubzug der Immobilienwirtschaft durch unsere Stadt bahnt.

Die Subventionen für die ohnehin stinkreiche Immobilienwirtschaft müssen beendet werden. Schluss mit der Lobby-Politik! Schluss mit der Volksverdämmung! Schluss mit der Energieeinsparverordnung! Schluss mit KfW-Krediten für energetische Sanierung! Schluss mit der Sanierungskostenumlage! Schluss damit, dass Steuergelder dafür verwendet werden, sozialen Druck in den Kiezen auszuüben! Und Schluss mit Zwangsräumungen!

85 % aller Haushalte in Berlin sind gemietet. Von 5 Berlinern sind 4 Mieter. Wir wollen eine Politik für diese Menschen – für Mieterinnen und Mieter. Das Geschäftsmodell der Immobilienwirtschaft, das auf Entmietung, Preissteigerung und Verdrängung basiert darf nicht unsere Stadt regieren. Preissteigerung ist keine Stadtentwicklung!
Die Stadt darf nicht von den Interessen der Profit-orientieren Bau- und Finanz-Mafia gestaltet werden. Die Stadt muss nach den Bedarfen der Menschen gestaltet werden, die hier leben. Die individuellen Lebensentwürfe der Menschen, die hier wohnen sind die Stadt! Wir sind die Stadt! Wir sind das Leben und die Kultur in dieser Stadt. Wir sind der Kiez! Und wir alle sind heute HG!

Darum werden wir nicht müde, zu demonstrieren, um für HGs und für unser aller Rechte einzustehen. Sollte es wieder zu einem weiteren Termin einer Zwangsräumung gegen HG kommen, werden wir wieder alle da sein und wir werden auch die nächste Zwangsräumung wieder verhindern. Solange bis HG für sein Lebenskonzept eine Bleibe gefunden hat, wo er in Frieden so leben kann, wie er möchte. Wohnen ist sein Lebensrecht. Er will hier leben und wir wollen, dass er hier leben kann, als Teil unserer Nachbarschaft.

Wir von Bizim Kiez danken, euch. Wir danken dem Bündnis gegen Zwangsräumung für das Organisieren dieser Demonstration. Danke fürs Zuhören und Danke fürs Kommen. Nur in großer und breiter Solidarität können wir zusammen eine so starke Kraft entwickeln, dass Menschen wie HG nicht einfach übergangen werden können. Zusammen haben wir die Kraft für den notwendigen Gegendruck.

Danke.