Energetische Modernisierung und Umwandlungen in Eigentumswohnungen als Mittel der Verdrängung
Wir sind betroffen von:
ENERGETISCHER SANIERUNG der Fassade
UMWANDLUNG in Eigentumswohnungen trotz Milieuschutz Austausch erhaltenswerter Doppelkastenfenster
EINER MIETERHÖHUNG von mindestens 40%
INFOBLATT DER MIETER MUSKAUER STR. 11, 11A UND EISENBAHNSTRASSE 44
1. Ungleichbehandlung von Eigentümer/innen und Mieter/innen
Mit der auf Grundlage des Energieeinsparungsgesetzes erlassenen Energieeinsparverordnung (EnEV) verfolgt die Bundesregierung das letztlich im gesamtgesellschaftlichen Interesse liegende energiepolitische Ziel, bis zum Jahr 2050 unter Beachtung des gesetzlichen Grundsatzes der wirt‐ schaftlichen Vertretbarkeit einen nahezu klimaneutralen Gebäudebestand zu erreichen (vgl. § 1 Abs. 1 EnEV).
Um den Grundsatz der wirtschaftlichen Vertretbarkeit zu wahren, hat der Verordnungsgeber in § 25 Abs. 1 EnEV einen Anspruch auf Befreiung des Eigentümers von den Anforderungen der Verordnung normiert, wenn die zur energetischen Modernisierung erforderlichen Aufwendungen nicht innerhalb angemessener Frist durch die eintretenden Einsparungen erwirtschaftet werden können („unbillige Härte“). Diese Regelung schützt den Gebäudeeigentümer davor, die im gesamtgesellschaftlichen Interesse liegende Aufgabe der Energieeinsparung, soweit deren Kosten sich nicht durch den erzielbaren Einspareffekt erwirtschaften lassen, durchführen zu müssen.
Für den Bereich des vermieteten Wohnraums hat der Gesetzgeber durch § 559 Abs. 1 BGB dem Gebäudeeigentümer die Möglichkeit eröffnet, die jährliche Miete um 11 Prozent der für die Wohnung aufgewendeten Modernisierungskosten dauerhaft zu erhöhen.
Die Übertragung der Kosten auf den Mieter scheint zunächst gerechtfertigt, da der Mieter über die infolge der Maßnahme verringerten Betriebskosten (Heizkosten) auch Nutznießer der energetischen Modernisierungsmaßnahme ist. Der Gesetzgeber hat es jedoch versäumt, auch im Mietrecht eine § 25 EnEV vergleichbare Vorschrift zu schaffen, die den Mieter davor schützt, über
- 559 Abs. 1 BGB auch zu solchen Kosten herangezogen zu werden, die auf offensichtlich unwirtschaftlichen Modernisierungsmaßnahmen beruhen, deren Kosten sich nicht innerhalb angemessener Frist durch die durch sie erzielten Einsparungen erwirtschaften lassen.
Für den Vermieter besteht bei dieser Rechtslage kein Anlass, unwirtschaftliche Modernisierungsmaßnahmen zu vermeiden, da statt seiner der Mieter die wirtschaftlichen Folgen zu tragen hat. Eher steigt die Motivation, die Kosten unnötig in die Höhe zu treiben, da die Umlage zu einer dauerhaften Erhöhung der Miete führt, nachdem die Modernisierungskosten durch den Mieter längst refinanziert wurden.
Die Erfahrung zeigt, dass die Vermieter von der Möglichkeit, unwirtschaftliche Modernisierungsmaßnahmen, deren Kosten kein adäquater Nutzwert gegenübersteht, durch die Mieter finanzieren zu lassen, ausgiebig und hemmungslos Gebrauch machen.
2. Gerichtsurteil in Pankow vom 28.01.2015 und Berufungsverhandlung
In einem Gerichtsverfahren aufgrund der Duldungsklage des Eigentümers gab es ein hoffentlich wegweisendes Urteil im Amtsgericht Pankow:
„Die Beklagten haben […] nicht die Dämmung der Fassade zu dulden […] nach Auffassung des Gerichts muss der Gedanke von §25 Abs. 1 EnEV auch im Rahmen des §555 d Abs. 1 BGB berücksichtigt werden. […]
Erst nach ca. zwanzig Jahren würde erstmals die Umlage niedriger sein als die eingesparte Heizenergie. Da kann von einer modernisierenden Instandsetzung aber nicht mehr die Rede sein […].Nach Auffassung des Gerichts können die Beklagten die Unwirtschaftlichkeit der Maßnahme bereits im hiesigen Duldungsverfahren einwenden.“ (siehe Anlage Pankower Urteil vom 28.05.2015)
Wie zu erwarten war, ist die Richterin Frau Paschke am Landgericht in der Berufungsverhandlung zum Pankower Urteil den Richtern im Amtsgericht nicht gefolgt.
Es wurde in der Pressemitteilung auf den Willen des Gesetzgebers (Politik) verwiesen und darauf, dass hier (vor Gericht) nur geltendes Recht angewendet werden könne. Jegliche Sachargumente, die sowohl die extreme Unwirtschaftlichkeit dieser Maßnahme für die Mieter, als auch die Frage der energetischen Gesamtbilanz anbrachten, wurden als politisch und sozial eingestuft. Mit die‐ sen Forderungen solle man sich an die Politik wenden. Gesamtgesellschaftliche Probleme spielen vor Gericht keine Rolle.
3. Kein Schutz in den Erhaltungsgebieten/Milieuschutz
Gemäß § 172 (1) Nr. 2 BauGB, Pkt. 3 müssen in den Erhaltungsgebieten in Berlin die Kosten der Mieterhöhung in einem angemessenen Verhältnis zu den Kosten der Einsparung der Heizukosten stehen. Wenn das nicht der Fall ist, müssen die Maßnahmen nicht genehmigt werden, um Ver‐ drängung zu verhindern und die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung in den Milieuschutz‐ gebieten zu gewährleisten. (siehe Anlage Auszug § 172 (1) Nr. 2 BauGB)
U.a. trägt ein Urteil des Bundesgerichtshof (AZ VIII. ZR 275/07 dazu bei, dass die Bestimmungen des BauGB für die Erhaltungsgebiete in der Praxis ausgehebelt werden.
Der Bundesgerichtshof hat festgelegt, dass es nicht darauf ankommt, wieviel Heizkosten im Ver‐ hältnis zu den Modernisierungskosten eingespart werden. Gemäß der Klimaschutzziele ist allein die Reduzierung von Energie ausreichend für die Genehmigung der Baumaßnahmen.
Die Praxis ist deshalb derzeit so, dass auch Mieter in den Erhaltungsgebieten zur Duldung verurteilt werden, da die Richter sich auf das BGH‐Urteil berufen.
4. Keine differenzierte Betrachtung unterschiedlicher Haustypen und Hauslagen
Viele Fachleute sind sich einig darüber, dass die Fassadendämmung bei den alten Gründerzeit‐ häusern unsinnig ist. Die Häuserwände in den Gründerzeitbauten haben eine Stärke von 58‐ 60 cm im EG / 1. OG. bis zu 38‐40 cm im 2. ‐ 4. OG.
In unserem Fall sind in den Modernisierungsankündigungen der Hausverwaltung die Angaben zu Wandstärken und den daraus abgeleiteten Wärmedurchgangswerten (U‐Wert) falsch. Im 4. OG sind es 42‐43cm mit Putz. Im 2.OG haben wir 62cm mit Putz. Bei angenommenen Putzstärken von 2cm hätten wir damit im 4.OG noch 38cm und im 2.OG 58cm. Die Angaben in unsererModernisierungsankündigung weisen für das EG und 1.OG einen MW Wert von 51 und für den 2.‐3. OG einen MW Wert von nur noch 38 aus.
Der Gesetzgeber sieht keine differenzierte Betrachtungsweise der verschiedenen Haustypen vor. So wird auch die Ausrichtung der zu dämmenden Wandflächen nicht berücksichtigt. Schliesslich nimmt ein Gebäude ja während der Tageslichtphasen auch bei nur diffuser Strahlung enorme solare Energiemengen von aussen auf und speichert diese, sodas diese Energiemengen bei einer Bilanzierung der Wärmeverluste über die Außenwände auch berücksichtigt werden sollten.
Dämmung schneidet das Gebäude von dieser natürlichen und regenerativen Energiequelle vollständig ab. Unsere strassenseitigen Wände sind Ost und Süd exponiert.
5. Erhaltenswerte Doppelkastenfenster sind mit Fassadendämmung nicht kompatibel
Derzeit geht vom Landesdenkmalamt eine Initiative aus, die Doppelkastenfenster in den Gründerzeithäusern zu erhalten. In dem Zusammenhang setzt das Amt sich dafür ein, auf die Fassadendämmung zu verzichten. Zitat aus der Empfehlung des Landesdenkmalrates vom 27.11.2015:
„Da der Erhalt von Kastenfenstern in Kombination mit einer Fassadendämmung zu bau‐ physikalischen Problemen führen kann, für die keine regelgerechte und gewährleistungsfähige Lösung bereit steht, ist straßenseitig fallweise ein Verzicht auf ein Wärmedämmverbundsystem in Betracht zu ziehen.“ (siehe Anlage Empfehlung des Landesdenkmalrates vom 27.11.2015)
6. Sonstige Nachteile der Fassadendämmung
- Zu erwartende Biozid Auswaschung aus dem Fassadenanstrich nach der Fassadendämmung
- Erhöhte Brandgefahr und damit verbundene Gefährdung benachbarter Gebäude.
- Schädigung der Ziegelwände und somit langfristig Verschlechterung der Bausubstanz oder im schlimmsten Fall Zerstörung der zu erhaltenden Gründerzeit Gebäude
7. Fragwürdigkeit der Energiesparverordnung (EnEV)
Der Architekt Christoph Schwan schreibt in seinem Text mit dem Titel„Die Misere mit der Energieeinsparverordnung (EnEV) und ihr Missbrauch bei Modernisierungsankündigungen“:
„Die EnEV wurde nie wissenschaftlich fundiert überprüft. In den Berechnungen zur EnEV wird nur die Wärmeleitfahigkeit behandelt. Masse und Wärmekapazitat wurden willkürlich und gegen je‐ de wissenschaftliche Erkenntnis eliminiert.“
Erstmals hat ein Richter in einem Prozess mit einer Mieterin aus Schöneberg ein gutachterliche Stellungnahme von Herrn Schwan, die die EnEV in Frage stellt, akzeptiert. Aufgrund dieser Informationen wird der Richter ein umfassendes Gutachten in Auftrag geben.
Nach der bisherigen Rechtsprechung soll in formeller Hinsicht die Angabe der Wärmedurchlass‐ koeffizienten der alten und der neuen Bauteile ausreichend sein. Es ist zu bezweifeln, ob allein eine Verbesserung der Wärmedurchgangswerte eine Einsparung von Energie zur Folgen haben muss. Dies gilt insbesondere bei der Sanierung von Altbauwänden, weil die Wärmedämmung umgekehrt auch verhindert, dass sich der Baukörper durch Sonneneinstrahlung etc. aufheizt.
8. Pre‐Bound‐Effekt
In einer Studie der Universität Cambridge wurde festgestellt, dass in schlecht gedämmten, nicht energetisch sanierten Häusern, die Bewohner viel weniger Energie verbrauchen als es laut Berechnung zu erwarten gewesen wäre. Es kann keine Energie einspart werden, die die Menschen in ihren Häusern/Wohnungen gar nicht verbrauchen. Der Amortisierungseffekt stellt sich deshalb viel später ein, als berechnet.
Energiebedarfsrechnungen sind oft viel zu hoch. Darauf wird aber das Einsparpotential berechnet. Wenn diese Ausgangsrechnung falsch ist, bedeutet es, dass die Sanierung sich nicht lohnt.
9. Interessengeleitete Festlegung von Normen
Es gibt in Deutschland klare Regeln für die Berechnung des theoretischen Energiebedarfs von Häusern. Sie stehen in: DIN V 18599 Beiblatt 1 – Energetische Bewertung von Gebäuden, entwickelt am Deutschen Institut für Normung.
Im zuständigen Normenausschuss, die diese Normen geschaffen haben, sind Vertreter der Baustoffindustrie, Dämmstoffindustrie, der Bauaufsicht, d.h. alle Kreise, die an den Folgen der Normenfestsetzung Geld verdienen können, sind im Boot.
10. Mietpreisbremse greift nicht bei umfassender Sanierung
Die Mietpreisbremse, die ab dem 01.06.2015 gilt, regelt, dass bei Neuvermietung von Bestands‐ wohnungen die Mieten nicht mehr als 10% über der ortsüblichen Vergleichsmiete(gemäß Mietspiegel) liegen dürfen.
Umfassende Modernisierungen rechnen sich für die Eigentümer nur dann, wenn anschließend die Miete erhöht werden kann – in der Regel auf ein Niveau von mehr als zehn Prozent oberhalb des Mietspiegels. Als umfassend gilt eine Modernisierung, wenn mehr als ein Drittel der Mittel aufgewendet wurde, die ein vergleichbarer Neubau gekostet hätte. Eine Mieterhöhung nach solchen Umbauten über die Kappungsgrenze hinaus ist erlaubt.
11. Umwandlung in Eigentumswohnungen auch in Milieuschutzgebieten
Das Land Berlin hat die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass die Bezirke künftig in den Erhaltungsgebieten entscheiden können, ob die Umwandlung von Mietwohnungen in Wohnungseigentum genehmigungsfähig ist oder nicht.
Künftig wird von den Bezirken auf der Grundlage des § 172 des Baugesetzbuches, einem Bundesgesetz, geprüft, ob die Begründung von Wohnungs‐ und Teileigentum genehmigt werden kann. Wenn sich der Eigentümer verpflichtet, innerhalb von sieben Jahren nur an die Mieter zu veräußern, kann ? die Umwandlung genehmigt werden.
Damit ist die neue Regelung ad absurdum geführt, die Umwandlungen werden munter fortgeführt.
Senator Geisel: „Wir wollen lebendige und sozial durchmischte Kieze in Berlin. Jeder sollte die Möglichkeit haben, in allen Teilen der Stadt wohnen zu können. Mit der Umwandlungs verordnung schützen wir Mieterinnen und Mieter in besonders gefährdeten Gebieten vor Verdrängung.” Ein Lacher!!!
12. Verdrängung überall
Das Problem betrifft nicht nur die Mieter/innen in unseren 3 Häusern. Die Bizim Kiez Initiative hat eine Karte der Verdrängung erstellt über die Situation im des ehemaligen Postzustellbezirks SO 36, das im wesentlichen mit dem Milieuschutzgebiet Luisenstadt übereinstimmt, erstellt: www.google.com/maps/d/viewer?mid=zviWJVRbV8nE.krIU45DIPSOo&hl=de
In anderen Bezirken sieht es ähnlich aus.
13. Unser Kontakt
Gerne eine mail an: mietergemeinschaft36@gmx.de