In Kreuzberg wird Demokratie noch ernst genommen

STELLUNGNAHME:

Der geplante Ankauf der Wrangelstraße 66 hat über die Feiertage in den den Medien viel Wiederhall gefunden. Z.B. DIE WELT schreibt ausführlich mit vielen O-Tönen von Mieter/innen und Aktiven von Bizim Kiez. Wirklich erschreckend ist aber die in Kommentaren geäußerte Meinung vieler Leser/innen zum Artikel. In fast ausnahmslos allen Kommentaren werden Mieter/innen als weltfremde Irre diffamiert, die nicht verstehen würden, dass sie keinen Anspruch auf die Wohnung hätten, in der sie Wohnen. Eigentümer könnten eben bestimmen, was sie mit ihren Wohnungen machen wollen. Fertig! Außerdem wird mokiert, dass nun exemplarisch ein Haus mit Steuergeldern gekauft werden soll, um grünen Arbeitsverweigerern das Wohnen in Toplagen zu Billigpreisen zu ermöglichen.

Diese Haltung zeigt deutlich, dass wir noch viel Aufklärungsarbeit zu leisten haben – sowohl im konkreten Fall, wie im Allgemeinen. Drum sei daran erinnert:
Es gibt aus gutem Grund Bestimmungen, die Hauseigentümern Auflagen machen, um zu verhindern, dass Mieter/innen einfach aus Wohnungen geworfen werden können. Andererseits gibt es eine Menge Vorgaben, die Mieter/innen erfüllen müssen, um zu verhindern, dass ihnen einfach gekündigt werden kann. In einer einigermaßen gerechten Welt, sollte daraus ein Gleichgewicht aus Rechten und Pflichten entstehen, das garantiert, dass geordnetes und gemeinschaftliches Zusammenleben funktioniert und unsoziales bzw. rein profitorientiertes Verhalten verhindert wird.

Im Fall der Wrangelstraße 66 haben wir es mit einem Investor zu tun, der sich an solche Regeln NICHT hält:
Das Haus steht im Milieuschutzgebiet Luisenstadt in der Wrangelstrasse Berlin Kreuzberg. Es ist verboten, hier Wohnungen länger ungenutzt leerstehen zu lassen, doch der Besitzer macht das seit Jahren. Außerdem dürfen hier Mietshäuser seit dem März 2015 nur noch mit Ausnahmegenehmigung in einzelne Eigentumswohungen aufgeteilt werden. Der Investor hat kurz vor dem seither defacto bestehenden Umwandlungsverbot einige Wohnungen an eine 100%ige Tochterfirma überschrieben, wodurch die Aufteilung formal vollzogen wurde. Dadurch hält er sich die Option zum späteren Verkauf aller Wohnungen offen. Der Bezirk sieht in diesen Handlungen den deutlichen und bewussten Versuch, Regeln und Richtlinien zu umgehen und will deshalb diesen Investor an der offensichtlichen Immobilienspekulation hindern.

Es geht also nicht darum, alternativ orientierten Menschen Privilegien zu erhalten, sondern es geht darum, Immobilienfirmen eine Schranke zu setzen, gegen die Entmietung von Mietshäusern, gegen die Verdrängung und den Austausch der Mieterschaft, um von neuen solventeren Mieter/innen mehr Miete verlangen zu können.
Es ist im Sinne des Gemeinwohls, den Immo-Firmen den zerstörerischen Zugriff auf Mietshäuser zu entziehen. Denn in über Jahrzehnten zusammengewachsenen Kiezen werden durch Verdrängung aus Mietshäusern wichtige soziale Netze vernichtet. Hier leben in funktionierenden Gemeinschaften Menschen, die nach einem Rauswurf oft nur vereinzelt in weit entfernten Außenbezirken eine neue Bleibe finden. Krankheit, Isolation und psychische Probleme sind oft die Folge von Verdrängung und die sozialen Kosten steigen ins Unermessliche. Da helfen auch Alibi-Abfindungen nicht weiter.
Dagegen ist nicht einsichtig, welchen volkswirtschaftlichen Nutzen es haben soll, dass eine luxemburgische Aktiengesellschaft beim Verkauf von Eigentumswohnungen ordentlich abkassiert und nachher wieder Mieter/innen in doppelt so teuren Wohnungen leben, die reichen Eigentümern gehören, die jederzeit mit Eigenbedarfsklagen für Mieteraustausch sorgen können. Mit Milieuschutz ist das jedenfalls nicht vereinbar und es ist richtig, dass sich staatliche Kräfte dagegenstellen.

Allerdings musste auch der grün/rot/rot-regierte Bezirk erst auf diese Position geschoben werden und die Organisation von politischen wie sozialen Interessen in den Kiezen ist dafür unerlässlich. Mit dem im Artikel zitierten radikalisierten „Häuserkampf“ hat das aber wenig gemein. Es geht vielmehr um Teilhabe und Interessenvertretung von einfachen Menschen (die im übrigen auch Steuerzahler/innen sind!), die sich gegen das Großkapital behaupten müssen und das ist die eigentliche Grundaufgabe einer demokratischen Ordnung – dass alle gleich viel Wert sind und gleich viel zu sagen haben. Die Headline des Artikels müsste also heißen: „In Kreuzberg wird Demokratie noch ernst genommen“.

Wir mischen uns ein und organisieren uns: Bizim Kiez – Für den Erhalt der Nachbarschaft.

Unterstütze uns und unterzeichne die Petition