Ungewöhnliche Wohnungssuche in Kreuzberg: Joana V. sitzt in Schaufenster, um auf die Wohnkrise aufmerksam zu machen
Mit einer mehrtägigen Kunstperformance macht eine Kreuzbergerin auf ihre verzweifelte Suche nach bezahlbarem Wohnraum aufmerksam: Seit dem 13. April sitzt unsere Nachbarin Joana V. im Schaufenster der Galerie Heba im Atelier Hermann Solowe in der Falckensteinstraße 37. Sie hat sich mit spärlichem Mobiliar im Fenster häuslich eingerichtet und verbringt ihre Tage dort als lebendige Suchanzeige. Wohnungsangebote können direkt bei ihr im Schaufenster vermittelt werden. Joana V. lebt seit Jahren bei uns im Kreuzberger Wrangelkiez in einem Untermietverhältnis, das ihr nun grundlos gekündigt wurde. Seit Monaten bemüht sie sich vergeblich um neuen bezahlbaren Wohnraum in der Nachbarschaft oder in angrenzenden Bezirken.
Doch der lokale „Wohnungsmarkt“ ist längst nicht den Wohnbedarfen von Menschen wie Frau V., sondern den Renditemöglichkeiten von Anlegern verpflichtet – im Neubau wie im Bestand. Während Frau V. im Schaufenster der Falckensteinstraße 37 Wohnungslosigkeit droht, verspricht die Immobilienfirma Ziegert in der Hausnummer 44a ein paar Häuser weiter, demjenigen den „Himmel über Berlin“, der 2.733.852 € für eine 183qm Penthouse-Maisonette hinblättern kann. Für nur 561 € könnte Joana V. sich immerhin für ein Wochenende nebenan in der Görlitzer Str. bei airbnb-Gastgeberin „Stella“ in „Apartment 1“ mit einem Etagenbett und einer Kochnische einmieten.
Eigentümer und Immobilienunternehmen können im Bezirk weitgehend unreguliert auf Vermietung von Ferienwohnungen, wie auch Wohnungen zu Mondpreisen, setzen und die Mietpreisbremse durch möblierte Vermietung umgehen. Schlangen bei Wohnungsbesichtigungen im Bezirk stehen denen für die Berliner Clubs wie dem Berghain um nichts nach. Am 11. November erreichte Joana V. eine Chat-Nachricht eines Nachbarn, der mit Blick auf die Falckensteinstr. 9 zu berichten wusste: „Vorhin 100 Meter Schlange in der Falckenstein. Lauter junge Menschen. Für 1.5 Zimmer über dem Citronella. Angeblich nur 1.2k€ Kaltmiete.“
Die Nachbarschaftsinitiative Bizim Kiez beobachtet, dass eine Welle von Eigenbedarfskündigungen auf den Bezirk zurollt. 35 Prozent der Mietshäuser im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg wurden in den vergangenen Jahren in Eigentumswohnungen aufgeteilt. Langjährige Mieter*innen werden mitsamt ihren Wohnungen „verkauft“ und sollen nach zermürbenden Klagen dann weichen.
Die Aktion von Joana V. weckt viel Interesse bei Passant*innen, Mietangebote waren noch nicht dabei. „Gestern hat mir einer eine Wohnung zum Kauf angeboten“, berichtet Frau V. bitter. „Was, wenn man einfach nur mieten will?“ Der von SPD und CDU im Koalitionsvertrag in Aussicht gestellte begrenzte Anteil von „freifinanzierten Eigentumswohnungen für Familien mit unterdurchschnittlichen Einkommen“ muss in Frau V.‘s Ohren wie blanker Hohn klingen. Schließlich ruft etwa Fortica Real Estate in der Falckensteinstr. 29 einen Quadratmeterpreis von 7000 € auf.
Frau V. sitzt täglich von 12.00 bis 20.00 Uhr im Schaufenster. Weitere Aktionen, die die Kunstdemonstration rahmen, folgen am Wochenende.
Als solidarische Nachbarschaft und Initiative gegen Verdrängung unterstützen wir sie natürlich.
Presseecho
- neues deutschland, 16.4.2023: Wohnungsmangel in Berlin: Kein Ende in Sicht
Die Mieten in Berlin steigen weiter, es mangelt vor allem an Sozialwohnungen und nd ›muckefuck‹ Newsletter, 17.4.2024 - rbb24, 17.4.2023: Video | Berlin-KreuzbergWohnungssuchende sitzt tagelang im Schaufenster
- rbb24, Tweet mit Video 16.4.2023: Joana Vau sucht seit Monaten nach einer bezahlbaren Wohnung in ihrem #Kiez. Um auf die schwierige Situation am Berliner #Wohnungsmarkt aufmerksam zu machen, sitzt sie täglich im Schaufenster einer #Kreuzberger Galerie.
- stern, 15.4.2023: KREUZBERG – Wohnungsnot: Frau stellt sich in Berlin als lebende Suchanzeige im Schaufenster aus
- B.Z. 14.4.2023: „Ich möchte hier bleiben“ Weil ihre Wohnung gekündigt wurde – Mieterin sitzt im Schaufenster
- Merkur, 14.4.2023: „Suche Wohnung“ – Berlinerin setzt sich ins Schaufenster
- Der SPIEGEL, 14.4.2023: Kreativer Umgang mit Wohnungsnot – Berlinerin stellt sich als lebende Suchanzeige aus
- Morgenpost, 14.04.2023: „Suche Wohnung“ – Berlinerin setzt sich ins Schaufenster
Bei Joana V. ist der Auslöser ihrer privaten Wohnungskrise, die Kündigung eines Untermietverhältnisses. Die Aktion hat aber sicherlich auch deshalb so große Aufmerksamkeit erfahren, weil so viele Wohnungssuchende für Mietwohnungen im angespannten Markt kaum eine Chance haben, an eine bezahlbare Wohnung zu kommen. Die Situation spitzt sich immer weiter zu, weil gerade in den Innenstadtbezirken Berlins Tausende Mietshäuser bereits aufgeteilt sind und als Eigentumswohnungen verkauft werden. Für die Mieter*innen im Bestand beginnt damit die Bedrohung verdrängt zu werden, denn der Kauf der Wohnung, in der die Mieter*innen wohnen, ist für fast niemanden finanzierbar. Nicht einmal 1% der Wohnungen, die Mieter*innen angeboten werden, können von diesen gekauft werden. D.h. für über 99% folgt früher oder später die Verdrängung.