Kinder Berlins – meine Geschichte der Friedelstr. 44

Hallo an alle,

meine Tochter Mila und ich wohnen in der Friedelstr. 44 in Neukölln. Wir mieten die Wohnung seit sechs

Friedelstr.44

Jahren, Milas sechs Lebensjahre. Mila ist im Urbankrankenhaus geboren und die Friedelstraße war ihre erste Wohnung. Dies ist auch der Grund, weswegen ich die Wohnung weiterhin behalten und untervermietet habe, auch über mehrere studiums- und berufsbedingte Umzüge hinweg während der letzten Jahre. Im September vergangenen Jahres sind wir nach Berlin zurückgekehrt. Meine Tochter wird im September eingeschult und ich wollte ihr nach ein paar hektischen Jahren endlich die Möglichkeit bieten, zur Ruhe zu kommen und in ihrem Geburtskiez ein Zuhause zu finden. Selbst bin ich in Kreuzberg, im Wrangelkiez, großgeworden und habe eine tolle, besondere Kindheit verbracht, die ich so oder so ähnlich auch gerne Mila bieten würde. Im März dieses Jahres habe ich mein Masterstudium an der Universität in Flensburg abgeschlossen, arbeite vorerst freiberuflich als Deutschlehrerin an zwei Sprachschulen in Neukölln, schreibe an einem Roman. Mila und ich fiebern der Einschulung entgegen und das Leben fing gerade an, so vor sich hin zu plätschern.

 

Da kam nun plötzlich Ende März die Ankündigung der Berliner Gesellschaft für Vermögensverwaltung, welche unser Haus verwaltet, dass für Mitte Mai Modernisierungsmaßnahmen zur Energieeinsparung geplant sind und dass sich die Miete um über 50% (!) von bisher 515 Euro auf 790 Euro erhöhen wird. Abgesehen davon, dass ich offen gestanden an der angepriesenen Energieeinsparung und den hierzu vorgelegten Werten zweifle und mir die Miete als Berufseinsteigerin und Freelancerin zur Zeit schon so kaum leisten kann, macht mich das Ganze ungemein traurig. Die Friedelstraße 44 ist noch eine der Hausgemeinschaften, die mich an das Berlin erinnert, in dem ich großgeworden bin: Gegenüber wohnt das türkische Hausmeisterehepaar mit zwei erwachsenen Kindern und spart auf ein Haus in Rudow, im Erdgeschoss wohnt eine alte Frau, die meiner Tochter Werthers Echte zusteckt und bei gutem Wetter auf ihr Kissen gestützt am Fenster lehnt und das Treiben auf der Straße beobachtet, im dritten Stock wohnt ein Pärchen, sie aus Süddeutschland, er aus Griechenland mit ihrer zweijährigen Tochter, mit der meine Tochter manchmal im Hof spielt. Die Mutter Simone kommt manchmal runter und sitzt bei mir in der Küche, um auf Mila aufzupassen, wenn ich abends noch einmal einkaufen oder mit dem Hund meiner Mutter, den ich oft betreue, spazieren gehe. Oben wohnt eine Frau, die ich manchmal im Spaß meine Patentante nenne, die meine Mutter schon aus dem Studium kennt und mit der sie in den späten 1980er Jahren, im Kreuzberg meiner Kindheit, in der linkspolitischen Szene aktiv war und die in der Wohnung schon seit über 15 Jahren lebt.
Ich weiß, dass es zur Zeit etliche solcher Fälle in Berlin gibt, aber ich will nicht weg aus meinem Kiez. Mila kennt die Verkäufer beim Spätkauf und kauft sich dort alleine Wassereis. Sie kennt den Kellner beim indischen Restaurant an der Ecke und den Weg zur Eisdiele und zum Spielplatz mit der großen Rutsche. Sie geht morgens alleine mit dem Hund um den Block. Ich will sie nicht schon wieder verpflanzen.

Hausversammlung Friedelstr.44

Ich mag Neukölln. Ich mag Kreuzberg. Ich mag es sogar jetzt, da es sich ‚Kreuzkölln‘ nennt. Ich mag das überlaufene Hipster-Kreuzkölln der Sommerabende, der Riesensonnenbrillen und Club Mates und lauten Gespräche auf der Straße, genauso wie das morgendlich verlassene Neukölln der rauchenden schimpfenden Frauen in Jogginganzügen, die bissige kleine Hunde spazieren führen und Männer in Feinrippunterhemden und mit Bierbäuchen, die über die Ausländer schimpfen und trotzdem beim türkischen Bäcker (der bei uns übrigens die besten Franzbrötchen hat!) kaufen. Ich habe nichts dagegen, dass diese Welten zusammenwachsen. Ich bin genug in unserer Welt herumgekommen, um zu wissen, dass es mehr als eine gibt und ich finde die Vorstellung schön, dass wir enger zusammenrücken, uns verändern, zusammen wachsen sowie insgesamt zusammenwachsen. Aber es müssen auch alle gehört werden. Es sollten nicht die einen lautstarke Gespräche führen und die anderen nur heimlich in der Morgendämmerung vor sich hin schimpfen. Wir müssen alle einen Platz haben und irgendwie will ich glauben, dass wir das auch können. Glaubt ihr das auch?
Grüße von Jana + Mila