Meinungsfreiheit im Grundgesetz und in der Berliner Verfassung
Wenn Mieter/innen ihre Meinung sagen wollen
In Artikel 5 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland steht, dass jeder Mensch das Recht hat, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Auch die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film sind nach der Verfassung gewährleistet. Eine Zensur darf nicht stattfinden. Beschränkungen finden sich in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Jugendschutz und im Recht der persönlichen Ehre. In Artikel 14 der Berliner Verfassung ist es etwas salopper formuliert. Danach hat jeder Mensch das Recht, innerhalb der Gesetze seine Meinung frei und öffentlich zu äußern, solange er die durch die Verfassung gewährleistete Freiheit nicht bedroht oder verletzt. Unabhängig von ihren Formulierungen sagen beide Verfassungen das Gleiche: Im Prinzip kann alles gesagt und getan werden, solange die Rechte anderer nicht berührt werden.
Transparente am Haus
Zur Mietsache gehören weder die Hausfassade noch die Außenseite des Balkongeländers. Deshalb kann ein Vermieter die Beseitigung eines am Balkongeländer angebrachten Transparents mit politischer Aufschrift verlangen (AG Wiesbaden, Urteil vom 15. April 2003, AZ: 93 C 465/03). Mieter/innen haben nicht das Recht, in das Eigentum der Vermieter einzugreifen und die Gestaltung der Hausfassade zu verändern. Der vertragsgemäße Gebrauch der Mietwohnung wäre damit überschritten.
Allerdings wird in der mietrechtlichen Fachliteratur das Grundrecht der Meinungsfreiheit in den Vordergrund gestellt, wenn aus aktuellem Anlass über einen kurzen Zeitraum ein Transparent ausgehängt wird. In Hamburg durften zum Beispiel Mieter/innen ein 2 m langes und 50 cm breites Schild über dem Balkonfenster anbringen. Das Transparent, über das in den 80er Jahren entschieden wurde, richtete sich gegen die Stationierung von Raketen in der Bundesrepublik Deutschland (LG Hamburg, Urteil vom 26. März 1985, AZ: 16 S 215/84).
• Angriff auf Vermieter
Andere Konsequenzen können folgen, wenn auf dem Transparent keine allgemeine politische Forderung steht, sondern der Vermieter direkt angegriffen wird. „Herr S., mit Ihrer Rückendeckung verkaufte die (…) dieses Haus 1999 an seinen Mietern vorbei für 1,5 Millionen DM an den Westberliner H-J S. Der lässt das Haus verfallen. Es steht fast leer. Er bietet es seit zwei Jahren auf dem Markt für ein Vielfaches an. Wir fordern die Rückabwicklung des Verkaufs.“ So stand es an einer Berliner Hauswand. Der Eigentümer kündigte das Mietverhältnis fristlos. Das Landgericht Berlin war offenkundig entsetzt – allerdings nicht über das Geschäftsgebaren des Eigentümers. Mit der Formulierung „Rückendeckung“ werde zum Ausdruck gebracht, dass der Verkauf nicht mit rechten Dingen über die Bühne gegangen sei, so das Gericht. Die Bezeichnung „Westberliner“ sei in diesem Zusammenhang negativ besetzt und propagandistisch, weil sie überwiegend von den Behörden der DDR und den Berlinern (Ost) verwendet wurde. Schließlich bedeute „das Haus verfallen lassen“ und „leer“, dass der Eigentümer ein Spekulant sei. Der Vorwurf der Spekulation sei in hohem Maße ehrenrührig. Eine bewusst unwahre Tatsachenbehauptung oder ein grob fahrlässiger Umgang mit der Wahrheit werde nicht geschützt. Ein irreparabler Schaden des Eigentümers sei entstanden und ein Fortführung des Mietverhältnis mit den für das Plakat verantwortlichen Mieter/-innen unmöglich. Die fristlose Kündigung sei schon wegen des unverschämten Inhalts des Plakats gerechtfertigt (LG Berlin, Urteil vom 28. August 2003, AZ: 67 S 110/03). Einen Kommentar kann man sich kaum verkneifen: Leerstand und Instandhaltungsrückstau sind ein Indikator für ein Spekulationsobjekt und leicht nachprüfbar. Wenn Mieter/innen dies nicht benennen dürfen, ist das ein erheblicher Einschnitt in das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung. Und die Interpretation bezüglich des „Westberliners“ ist für Westdeutsche kaum nachvollziehbar. Auch in Hamburg wurden die Berliner (West) Westberliner genannt. Der Senator S., dem vorgeworfen wurde, er habe beim Verkauf Rückendeckung gegeben, hätte sich aufregen und Maßnahmen ergreifen können. Aber der ist nicht Vermieter und kann das Mietverhältnis nicht kündigen.
• Anzeigen von Leerstand
Das Landgericht München entschied einen Fall, in dem ein Mieter ein mehrere Quadratmeter großes Transparent aus den Wohnungsfenstern an der Fassade angebracht hatte. Auf dem Transparent prangte in großen Lettern: „In diesem Haus stehen 4 Wohnungen leer, ca. 500 qm.“ Das entsprach den Tatsachen. Der Vermieter kündigte das Mietverhältnis fristlos. Zu Recht, wie das Gericht meinte. Der Vermieter werde mit dem Transparent angeprangert. Es reiche die Gefahr, dass dies als Aufforderung zur Hausbesetzung verstanden wird (LG München I, Urteil vom 20. Juli 1983, AZ: 14 S 18033/81). Ob in anderen Großstädten ähnlich geurteilt wird, ist fraglich. Es scheint sehr problematisch, wenn nicht einmal offensichtlich wahre Behauptungen mitgeteilt werden dürfen. Selbst wenn der Vermieter ein schützenswertes Interesse hatte, hätte eine Unterlassung ausgereicht. Grundsätzlich gilt nämlich, dass wahre Behauptungen vom Grundrecht auf freie Meinungsäußerung gedeckt sind.
• Keine Tatsachen
Nicht als Tatsachenbehauptung zu belegen war ein Plakat, auf dem stand: „In diesem Haus sind Kinder unerwünscht. Hier darf nicht gewohnt, gespielt, gelacht werden.“ Dieses Plakat musste nach einer einstweiligen Verfügung umgehend entfernt werden (AG Ludwigsburg, Urteil vom 11. August 1989, AZ: 7 C 2028/89).
• Kleinformatige Plakate
Auch auf die Größe des Plakats kann es ankommen. Bei der Anbringung von zwei Plakaten in DIN-A4-Format mit Politvokabular aus der Hausbesetzer-Ära kann es sich zwar um eine Vertragsverletzung handeln, aber eine fristlose Kündigung ist nicht gerechtfertigt. Dem steht zum einen die geringe Größe der „Plakate“ entgegen, zum anderen die Mitteilung selbst, die von Form und Inhalt kaum den Anspruch stellt, ernst genommen zu werden (AG Waldkirch, Urteil vom 25. Januar 1996, AZ: 1 C 371/95). Aber Vorsicht: Das AG Waldkirch hatte über die Rechtsmäßigkeit einer fristlosen Kündigung zu entscheiden. Ein Unterlassungsanspruch wäre unter Umständen gegeben gewesen.
• „Wir bleiben hier!“
Erlaubt ist ein in den Fenstern der Wohnung angebrachtes, nicht dominierendes Plakat mit der Aufschrift „Wir bleiben hier!“. Mieter/innen haben ein beachtenswertes Interesse gegenüber potenziellen Käufern klarzustellen, dass sie ihre Rechte nach dem Kündigungsschutz in vollem Umfang wahrnehmen werden (AG Stuttgart-Bad Cannstatt, Urteil vom 16. August 1990, AZ: 4 C 1832/90).
• Fußball-Weltmeisterschaften
Einigkeit besteht darüber, dass während einer Fußball-Weltmeisterschaft Plakate von Nationalmannschaften oder Nationalfahnen in die Fenster der Wohnung gehängt werden dürfen. Folgerichtig müsste dies auch für die Clubmannschaften gelten. Vielleicht sollte sich der Fluch-der-Karibik-Fan auf diese Argumentation beziehen.
• Meinungsäußerung in den Medien
Das Recht von Mieter/innen auf freie Meinungsäußerung schließt ein, das Mietverhältnis in der Presse öffentlich behandeln zu lassen. Die von Journalisten gewählte Darstellungsweise ist Mieter/innen nicht als Pflichtverletzung im Mietverhältnis zuzurechnen. Herabsetzende oder unwahre Äußerungen von Mieter/innen über die Vermieter hingegen können eine Pflichtverletzung begründen, insbesondere wenn die Äußerungen gegenüber der Presse vorgenommen werden. Wenn aber nur die Journalist/innen harsche oder beleidigende Worte finden und Sachverhalte nach eigenem Gusto interpretieren, können die Mieter/innen nicht dafür verantwortlich gemacht werden (AG Hamburg-Wandsbek, 23. September 2005, AZ: 716B C 46/05).
• Meinungsäußerung bei Wohnungsbegehungen
Auch hier gilt die Faustregel: Wer Wahres sagt, kann rechtlich nicht belangt werden. Es ist gestattet, potenzielle Käufer über eigene Rechte bei der Umwandlung (verlängerter Kündigungsschutz) und über Mängel in der Wohnung hinzuweisen. Aber Vorsicht ist angebracht, denn eine falsche Behauptung kann Folgen haben.
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