Zwangsräumungen und die Krise des Hilfesystems

Der Verlust der Wohnung gilt als schwerwiegender Einschnitt in das Leben und wird in der Sozialgesetzgebung zu Recht als soziale Notlage angesehen.

In Berlin setzten die Gerichtsvollzieher*innen in den letzten Jahren jeweils zwischen 5.000 und 7.000 Räumungstermine fest (siehe Drucksachen Abgeordnetenhaus 17/10 269; 17/12 200; 17/12 964).

Exakte Zahlen über die tatsächlich durchgeführten Zwangsräumungen liegen nicht vor, da es bis heute keine verpflichtende amtliche Berichterstattung zu Räumungsklagen und vollzogenen Zwangsräumungen für die letzten Jahre gibt. Zudem fehlen bei dieser Annäherung die Bezirke Neukölln und Reinickendorf komplett. Vor dem Hintergrund von steigenden Mieten, einer wachsenden Einkommensarmut und vor allem mit den sichtbaren Protesten gegen Verdrängung ist in Berlin das öffentliche Interesse am ThemaZwangsräumungen in den letzten Jahren jedoch deutlich gestiegen.


 

Das Hilfesystem – Wohnungslosigkeit in Berlin ///
Unterkapitel
Zwangsräumungen
und die Krise
des Hilfesystems
/ eine Fallstudie in Berlin

Laura Berner, Andrej Holm, Inga Jensen


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GENTRIFIZIERUNG OHNE BAULICHE AUFWERTUNG!

Die Karte zeigt die Bereiche in Berlin, wo durch einfache Neuvermietung eine Preissteigerung von über 4 € pro Quadratmeter möglich ist. Darum werden „Alt-Mieter*innen um jeden Preis“ rausgemobbt. Es lohnt sich einfach für die Immobilieneigentümer*innen.

In der Studie »Zwangsräumungen und die Krise des Hilfesystems« von Laura Berner, Andrej Holm und Inga Jensen wird deutlich aufgezeigt, warum in der Berliner Innenstadt der extremste Gentrifizierungsdruck herrscht. Es liegt eben nicht daran, dass hier die beliebtesten und besten Wohnlagen sind, sondern es liegt daran, dass die Immobilienwirtschaft hier die größten Preissteigerungen durch Neuvermietung ohne bauliche Aufwertung durchsetzen kann:
»Die Berliner Mietentwicklung ist seit knapp zehn Jahren von einer durchgehenden Steigerung der Mietpreise im Bestand und bei den Neuvermietungen geprägt. Der durchschnittliche Mittelwert des Mietspiegels ist zwischen 2007 und 2013 von 4,62 Euro/qm auf 5,39 Euro/qm gestiegen. Das entspricht einer Steigerung von etwa 17 Prozent. Noch deutlicher fällt die Entwicklung der Angebotsmieten aus, die beim Abschluss neuer Mietverträge aufgerufen werden. Im Zeitraum von 2007 bis 2013 hat sich hier der gesamtstädtische Durchschnitt von 5,89 Euro/qm auf 8,38 Euro/qm um etwa 40 Prozent (GSW 2008; GSW 2014).«

Das hat Konsequenzen in Bezug auf das schnelle Durchsetzen von Zwangsräumungen, als billigste Möglichkeit, um die Miete extrem zu steigern:

»Die Miethöhen, die bei Abschluss von neuen Mietverträgen von den Vermieter*innen festgelegt werden, spiegeln die Ertragserwartungen in den jeweiligen Lagen und Beständen. Je größer die Lücke zwischen den Bestandsmieten und den potentielle Mieteinnahmen, desto größer ist der Vorteil eines Mieter*innenwechsels für die Eigentümer*innen. Im Gegensatz zu klassischen Gentrification-Prozessen ist eine Ertragssteigerung für Eigentümer*innen und Investor*innen zurzeit in Berlin nicht auf Investitionen in die bauliche Aufwertung angewiesen. Statt den mühevollen Weg der Modernisierung zu gehen, brauchen Eigentümer*innen in vielen Teilen der Stadt nur auf einen Mieter*innenwechsel warten, um die Mieteinnahmen deutlich zu steigern. Für viele Eigentümer*innen gilt: Zeit ist Geld und die Geduld, auf einen freiwilligen Auszug der Mieter*innen zu warten, ist oft begrenzt.

Aus einer ökonomischen Perspektive verwandeln sich Bewohner*innen, die schon sehr lange im Haus wohnen und günstige Bestandsmieten zahlen, in „unrentable Mieter*innen“. Galten Mietrückstände noch vor ein paar Jahren vor allem als ärgerlicher Einnahmeverlust, sehen viele Eigentümer*innen in Mietrückständen inzwischen eine Chance, durch eine Räumungsklage den Mieter*innenwechsel zu forcieren.«

Nachzulesen auf Seite 30-32: https://www.sowi.hu-berlin.de/…/…/projekte/studie-zr-web.pdf

Magnus Hengge

Aug. 2016