Bizim Bakkal – die Verdrängungsgeschichte des letzten familiengeführten Gemüseladen im Kiez

Timeline: Bizim Bakkal – Unser Gemüseladen

Diese Timeline ist von unten nach oben chronologisch aufgebaut.

Weitere Informationen zur Wrangelstraße 77
Wrangelstraße 77 in den Medien


– 8. März 2017 –

Neuer Besitz und HV seit 2017 jetzt direkt über Gekko Real Estate

– 8. Juni 2016 –

Erst am Morgen war Anwohnern aufgefallen, dass vor der Wrangelstraße 77 plötzlich ein Baugerüst aufgebaut wurde. Ein Mieter erboste sich, dass es keinerlei Ankündigung gab. Er kontaktierte die Ini, die innerhalb von 20 Minuten einige Nachbarn herbeiorganisierte. Ein Aktivist wies den Hauseigentümer Wrangelstraße 77 GmbH telefonisch darauf hin, dass Mieter des Hauses klagen würden, falls das Gerüst nicht umgehend verschwände – und hatten Erfolg. Der Bautrupp machte sich an den Abbau. Unter dem Applaus der Nachbarn. „Großartig“, sagt ein Anwohner, der dabei war und schlägt vor als nächsten Anwohnerwunsch das Wort „Abrüstung!“ zu bauen.

Auf Anfrage beim Bezirksamt nach dem aktuellen Genehmigungsstand
werden folgende Antworten gegeben:

Dem Anbau des Aufzugs musste rechtlich zugestimmt werden, nachdem der Eigentümer sich in einem sog. Öffentlich Rechtlichen Vertrag dazu verpflichtet hat, die Herstellungs- und Betriebskosten des Aufzugs nur auf diejenigen Mietparteien umzulegen, die sich mit der Nutzung und der daraus resultierenden Kosten einverstanden erklären. Das heißt: wer den
Fahrstuhl ablehnt, der darf nicht an den Kosten beteiligt werden. Ebenso sieht der Öffentlich Rechtliche Vertrag vor, dass die Kosten für eine neue Hofgestaltung nicht umgelegt werden dürfen.

Genehmigt wurden: Erst-Balkon-Anbau, deren Grundfläche nicht mehr als 4 qm betragen darf; hofseitige Fenster (keine französischen Fenster); Einbau einer Gegensprechanlage ohne Videofunktion.

– 8. Juni 2016 –

Ein paar Anrufe bei Ämtern, Investor und Gerüstbaufirma, begleitet von ein paar Aktivist*innen auf der Straße, und das Gerüst wird wieder abgebaut. Bizim Kiez wirkt.
Die Verwaltungsgesellschaft WGW hat die Mieter*innen nicht benachrichtigt, und um die Klage zu umgehen hat die Gekko Real Estate die Gerüstfirma angewiesen, ihr Zeug wieder einzupacken. Aber es ist leider nur aufgeschoben …

Das Video dazu: https://www.facebook.com/bizimkiez/videos/1551232045182676/

– 8. Juni 2016 –

Am Haus wird ein Gerüst aufgebaut.
Die Mieter wissen von nichts, aber es wird wohl versucht Fakten zu schaffen.
Und das just am selben am Tag an dem gleichzeitig für den Abend, wie immer bisher 14-tägig, die Bizim-Kiez Strassenversammlung vor dem Haus angemeldet ist.

– 21. April 2016 –

Das Interiör des Ladens wird ohne Rücksicht (alte Kacheln) zerschlagen.
Die Remise im Hinterhof wird abgerissen.

– 31. März 2016 –

Das Engagement gegen die Verdrängung von Familie Çalışkan!

BizimKiez-GemuesePlatzZusammenfassung und aktueller Stand des Falls: Der Investor will das Haus in der Wrangelstraße 77 verwerten und alle Bewohner/innen rausschmeißen, einschließlich der Familie, die in der Gewerbeeinheit seit über 28 Jahren einen Obst- und Gemüseladen betreibt. Dagegen mobilisierte sich die gesamte Nachbarschaft in einem nie da gewesenen Ausmaß. Der Investor reagierte auf die große mediale Welle und nahm die Kündigung (mit Räumungsandrohung) zurück. Doch er weigert sich der Familie eine vertragliche Perspektive zu geben. Danach ging die Nutzung einfach weiter, ohne dass ein Mietvertrag mit Laufzeit zugesichert wurde. D.h. dem Gemüseladen konnte zu jedem Monatsende erneut gekündigt werden. Schließlich musste der Mieter aus gesundheitlichen Gründen den Laden aufgeben.

– 31. Januar 2016 –

Bizim Bakkal schließt – die Initiative bleibt

Der Konflikt mit dem Investor findet ein Ende. Zum 31.3.2016 wird der Laden aus gesundheitlichen Gründen des Betreibers Ahmet Çalışkan geschlossen. Der Vermieter gab der Familie bis zuletzt keinen neuen Mietvertrag mit fester Laufzeit und eine Kündigung blieb jederzeit möglich. Unter diesem enormen psychischen Druck und ohne planbare Perspektive kann die Familie den Betrieb nun nicht mehr aufrechterhalten. Die gesundheitlichen Probleme von Ahmet Çalışkan, die ihn nun zum Aufgeben zwingen, waren dem Vermieter überdies bekannt.
Die Nachbarschaft verliert damit an Kiezkultur, aber nicht an Biss im Kampf gegen den Ausverkauf ihres Kiezes. Gerade Ahmet Çalışkan hatte von Anfang an im Auge, dass der Einsatz für „Bizim Bakkal“ Präzedenzcharakter für viele andere Verdrängungsfälle in Berlin hat, bei denen Selbstorganisation und öffentlicher Protest nötig ist, um an der generellen Problematik etwas zu ändern.

– 11. November 2015 –

Bizim Kiez Laternenumzug – Investoren heimleuchten:
Wir fordern einen langfristigen Vertrag für Familie Çalışkan

Seit Monaten gibt es keine Bewegung in der Verhandlung zwischen Mieter und Vermieter – es gibt sogar noch nicht einmal Gespräche. Der Investor ist völlig abgetaucht und versucht, nicht mehr aufzutreten. Sowohl die Mieter im Haus, wie auch des Ladens, haben nichst mehr von ihm gehört. Wir vermuten, dass er die Strategie gewechselt hat und einfach abwartet, bis sich die Wogen des Protestes geglättet haben. Leider kann Ahmet Çalışkan als Betreiber des Gemüseladens nicht mehr lange warten: Er ist gesundheitlich schwer angeschlagen und möchte den Laden deshalb möglichst bald an einen Nachfolger (am liebsten an den Sohn) übergeben. Doch ohne Mietvertrag mit fester Laufzeit findet sich kein Nachfolger, denn ohne vertragliche Perspektive will niemand investieren. Die Unsicherheit spielt also dem Hausbesitzer in die Hände, denn er rechnet damit, das die Familie Çalışkan einfach aufgibt.

– November 2015 –

Hausbesitzer bringt Umbauanträge beim Bezirksamt ein. Genehmigung wird wegen fehlender Unterlagen nicht bearbeitet.

Aus den unscheinbaren Bauanträgen, die für die Wrangelstraße 77 beim Bauamt Kreuzberg eingereicht werden, kann man erkennen, was der Besitzer vor hat: Balkonanbau, Aufzugbau im Hof und Ausbau des Dachgeschosses. Außerdem soll eine kleine Remise im Hof und die gesamte Hofdecke abgerissen werden, wodurch alle Keller der Mieter/innen nicht mehr verwendbar wären. Auch der Betrieb von Bizim Bakkal wäre stark eingeschränkt. Der Stadtrat hat in einer diesbezüglichen Sitzung angekündigt, dass eine restriktive Linie gefahren werden soll. Genehmigungen der Baumaßnahmen sind also nicht zu erwarten.

– August 2015 –

Bericht in Zitty:
Moraitis ist „einer der bissigsten Immo-Haie in Berlin“

Verdrängung und Entmietung ist inzwischen ein regelrechter Wirtschaftszweig geworden. Der Besitzer des Hauses, in dem der Laden „Bizim Bakkal“ ist, gilt als typischer Investor, dem Mieterinteressen total egal sind. Ihm geht es nur darum aus der Immobilie Profit zu schlagen. Die Zitty macht das zur Titelgeschichte.

– bis 10. Juli 2015 –

Medien Berichten vom Erfolg des Protestes

Die Erfolgsmeldung wird in den Medien der Stadt gefeiert. Nur in wenigen Artikeln wird darauf hingewiesen, dass sich die Lage für den Gemüseladen nur unwesentlich geändert hat. Nach wie vor ist völlig unklar, wie es für die Familie weitergehen kann, denn hinsichtlich eines neuen Vertrags mit langer Laufzeit ist keinerlei Ergebnis erzielt worden.

– Abend – 1. Juli 2015 –

Rücknahme der Kündigung – parallel zur Bizim Kiez Protestveranstaltung

Am Abend als die Nachbarschaftsinitiative Bizim Bakkal erneut großen Protest vor dem Laden organisierte (ca. 500 Menschen waren da) gaben die Medienanwälte des Investors eine Presseerklärung an ausgewählte Medien, in der sie veröffentlichten, dass die Kündigung zurückgenommen sei. Dies wurde dem Mieter nicht vorher mitgeteilt, sondern war eindeutig als PR-Coup geplant. Der Investor stellte den Fall fälschlicher Weise so dar, als hätte Familie Çalışkan ihrerseits den Laden aufgeben wollen und es sich im Grunde um einen Irrtum handle.

– Nachmittag – 1. Juli 2015 –

Bizim Bakkal – nach der ersten Verhandlung mit der Hausverwaltung

Durch die großen Proteste wurde eine Verhandlung zwischen den Anwälten des Mieters (Ahmet Çalışkan) und des Eigentümers (Ioannis Moraitis) erzwungen. In dieser Verhandlung wurde keinerlei Einigung erzielt. Die Verhandlungspartner verließen die Sitzung ohne jedes Ergebnis.

– Ende Juni 2015 –

Gigantische mediale Welle: Bizim Bakkal wird zum Symbol für Verdrängung und des Widerstandes dagegen

Alle großen Medien (Print, TV, Online) machen Berichte über die Protest in Berlin. Bis zu 1000 Menschen kommen zu den wöchentlichen Versammlungen gegen Verdrängung und Entmietung im Kreuzberger Wrangelkiez zusammen. Auch internationale Medien in allen europäischen Ländern bis hin nach Amerika, Asien und Australien berichten.

– Mitte Juni 2015 –

Die Nachbarschaft organisiert sich und bildet Arbeitsgruppen.

„Bizim Kiez“ ist in wenigen Wochen zu einer echten Bewegung herangewachsen. Das Motto „Für den Erhalt der Nachbarschaft im Wrangelkiez“ ist etabliert und die Gruppe hat sich in mehrere Arbeitsgruppen aufgeteilt, die sich besonderen Teilbereichen der Öffentlichkeitsarbeit widmen. Die wöchentlichen Mittwochsversammlungen werden immer größer. Am 17. Juni sind ca. 1000 Menschen zur solidarischen Unterstützung auf der Straße vor dem Haus in der Wrangelstr. 77.

– 3. Juni 2015 –

Kunden des Ladens formieren Widerstand.
Erste große Mittwochs-Kundgebungen.

Durch die gedrückte Stimmung bei Familie Çalışkan wird vielen Kunden des Gemüseladens klar, wie wichtig die Existenz dieses Ladengeschäftes für das Selbstempfinden als Kreuzberger/in ist. Die eigene Geschichte ist vielfach mit der Geschichte der Familie verknüpft, die seit 28 Jahren Obst und Gemüse im Kiez verkauft und für viele zu guten Bekannten geworden sind.
Wer in Kreuzberg wohnt, musste in den Jahren und Monaten zuvor schon mehrfach mit angesehen, wie andere Läden und Familien verdrängt wurden, doch nun – beim letzten verbliebenen Inhabergeführten Gemüseladen im Wrangelkiez – ist eine Grenze erreicht.
Alle verstehen: Wenn wir uns jetzt nicht zusammenschließen und diese Verdrängung verhindern, sind wir bald selbst die nächsten. Es geht jetzt darum, sich gegen den finalen Ausverkauf des Kiezes zu stellen. Es darf nicht sein, dass auf Kosten der Gemeinschaft Kasse gemacht wird und dabei Familien, die hier Jahrzehnte lang wesentliche Säulen des Zusammenhalts waren, auf der Strecke bleiben!

– Ende Mai 2015 –

Eine kleine Gruppe von Freunden der Familie trifft sich.
Schnell kommen 120 Menschen zusammen.

Mit ein paar kleinen Aushängen am Fenster von Bizim Bakkal und dem benachbarten Café wurde zu einem Treffen eingeladen, bei dem erörtert werden sollte, wie man gegen die drohende Räumung vorgehen könnte. Schon das erste Treffen wird von Unterstützer*innen völlig überlaufen und es wird deutlich, dass es eine große Bereitschaft in der Nachbarschaft gibt, sich für Bizim Bakkal zusammenzuschließen.

– 30. März 2015 –

Ahmet Çalışkan wird gekündigt und die umgehende Räumung angedroht.

In einer außergewöhnlich scharf formulierten Schreiben wird die Gewerbeeinheit einschließlich aller Nebenräume und Keller, in der „Bizim Bakkal“ betrieben wird, zum 30.9.2015 gekündigt. Bei Nichtäumung (Rückgabe in renoviertem und besenreinem Zustand) wird ohne weitere Frist Räumungsklage gegen den Mieter angekündigt.
Ahmet Çalışkan lotet anschließend mit einem befreundeten Anwalt Möglichkeiten aus, gegen die Kündigung vorzugehen, aber sie sehen keine Chance. Damit scheint die Zukunft der Familie als Händler in der Wrangelstraße besiegelt, denn e scheint keine Perspektive mehr zu geben.


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